Das Verhältnis zwischen Brüssel und den osteuropäischen Staaten in der EU kühlt sich zusehends ab. Seit Jahren schon macht Ungarns Regierungschef Viktor Orbán was er will, stößt Brüssel immer wieder vor den Kopf – zuletzt bei der Ziehung eines Grenzzaunes zur Flüchtlingsabwehr. Die Slowakei opponiert offen gegen eine Flüchtlingsverteilung nach Quote innerhalb der EU und will sogar vor dem EuGH klagen. Und Polens neue konservative Regierung stellt demokratische Grundwerte infrage, die in der EU-Zentrale die Alarmglocken schrillen lassen.
Mit hohem Tempo schafft die Regierung von Beata Szydlo die Grundlagen, um die Opposition im Land klein zu halten und den Machterhalt möglichst dauerhaft zu sichern: Die noch von der alten Regierung bestellten Verfassungsrichter werden nicht ernannt.
Die in ausländischem (mehrheitlich deutschem) Besitz befindlichen Medien sollen polnisch werden.
Staatlicher Rundfunk und staatliches Fernsehen werden gleichgeschaltet.
Die deutsche Minderheit muss um ihre Autonomie, namentlich den Gebrauch der deutschen Sprache fürchten.
Im Auswärtigen Amt wird die Situation sorgfältig beobachtet. Bisher hat Warschau allerdings noch keine Verträge wie den von 1991, der den Minderheitenschutz der Deutschen absichert, tatsächlich gebrochen.
Die Ankündigung, aus der EU-Energiepolitik auszuscheren und bei Flüchtlingsfragen nicht mitzuziehen, will Brüssel zunächst nicht überbewerten, heißt es offiziell. Man glaubt ein Pfand in der Hinterhand zu haben: Denn Warschau riskiert die EU-Förderung. Diese kommt vor allem dem Agrarsektor zugute. Das ist der Wirtschaftsbereich, in dem die Masse der Wähler der Regierung Szydlo arbeitet.
Mit den angekündigten Wirtschafts- und Sozialreformen lässt sich die Regierungschefin Zeit. Dafür ist die Erhöhung der Renten oder die kostenlose Arzneimittelversorgung für Rentner auf dem Plan. Die Finanzierung dafür steht jedoch in den Sternen.
Obwohl sich das Investitions- und Geschäftsklima in Polen abkühlt, erweitern sich zunächst die Absatzchancen deutscher Exporteure. Denn das geschilderte Sozialprogramm würde kurzfristig die Kaufkraft der Bevölkerung steigern. Germany Trade&Invest erwartet, dass deutsche Exporteure davon besonders stark profitieren würden. Mit 3,5% Wachstum in diesem und vermutlich auch im nächsten Jahr ist das Nachbarland ein attraktiver Markt insbesondere für hochwertige Konsumgüter.
Fazit: Ungarns Alleingänge hat die EU bestenfalls auf kleiner Flamme kritisiert. Inzwischen bekommt die osteuropäische Absetzbewegung von dem, was Brüssel wichtig ist, ganz neue Dimensionen. Die Statik des gemeinsamen europäischen Hauses wird immer brüchiger.