Vorwärts immer, rückwärts nimmer
„Der einzige Weg vorwärts ist die Neugründung eines souveränen, vereinten und demokratischen Europas." Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sorgt mit seinen Vorstellungen zur Zukunft Europas für reichlich Diskussionsstoff. Denn er redet nicht staatsmännisch nebulös daher, sondern wird konkret: eine gemeinsame europäische Armee mit einem gemeinsamen Budget, ein gemeinsamer Sicherheitsapparat, ein Euro für alle, gleiche Steuern für alle. Und eine „vollständige Integration" der Märkte Deutschlands und Frankreichs bis zum Jahr 2024.
Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Das Motto von DDR-Staatsführer Erich Honecker vor knapp 30 Jahren bestimmt damit heute die europäische Diskussion. Sie setzt sich einfach über die Realität hinweg. Als wäre der Brexit bereits überstanden. Als wären die Wahlergebnisse in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland ein Votum für mehr Europa. Und als gäbe es die neuen Nationalisten vom Typ Orbán, Kaczinsky mit ihren stillen Freunden in der Slowakei, in Slowenien, in Griechenland und in Italien, wo man den wagemutigen Reformaspiranten Renzi restlos scheitern ließ, nicht. Der europäische Zug fährt de facto in die Gegenrichtung.
Macrons Vorschläge sind deshalb in vielerlei Hinsicht ein Danaergeschenk an die Europäer. Sie sollen vereinen und werden spalten. Nicht nur West- von Osteuropa. Auch für die Beziehungen Frankreichs zu Deutschland wird Macrons Vision eine schwere Belastung sein. Wie schwierig es ist, zusammenwachsen zu lassen, was zusammengehört, wissen wir inzwischen. Und was es für Folgen hat, wenn ein Teil glaubt, vom anderen dominiert zu werden.
Macron will mehr. Er hat keinen Steinbruch an Ideen geliefert. Im Kern schlägt er vor, die Gegensätze der historisch gewachsenen und verwurzelten Systeme Frankreichs (merkantilistisch-sozialistischer Zentralstaat) und Deutschlands (Föderalstaat mit sozialer Marktwirtschaft) zu überwinden, indem man sie verheiratet. Und es ist auch klar, welcher Geist diese Ehe dominieren soll, nämlich der von Paris.
Das ist ein mehr als gewagtes Unterfangen, das ist auch eine Zumutung. Angela Merkel sollte diesmal tatsächlich vom Ende her denken, bevor sie sich auf Macrons „mutige Visionen" einlässt, meint Ihr
Ralf Vielhaber