(Zu) viel Mut zur Lücke
Wie Staaten durch einen statistischen Trick mehr Schulden machen können.
Durch „systematische“ statistische Fehlberechnungen wurden in den letzten Jahren die nationalen und europäischen Schuldenbremsen aufgeweicht. Das jedenfalls lässt sich aus einer aktuellen Analyse der Deutschen Bundesbank ableiten. Im Zentrum der Untersuchung steht die sogenannte „Produktionslücke“ („Output Gap“). Sie gibt an, wie stark die tatsächliche Wirtschaftsleistung eines Landes von der höchstmöglichen Produktion bei Vollauslastung aller Kapazitäten abweicht. Was sich sehr statistisch anhört, hat immense Auswirkungen auf die tatsächliche Wirtschaftspolitik eines Landes. Denn anhand der Produktionslücken wird ermittelt, wie Haushalte „strukturell“, also um konjunkturelle Effekte bereinigt, aufgestellt sind. Und genau diese konjunkturbereinigten Größen sind sowohl für die deutsche Schuldenbremse als auch für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt ausschlaggebend. Das heißt: Eine Überschätzung des Produktionspotenzials bietet Staaten die Möglichkeit, mehr Schulden zu machen. Und genau dazu ist es in den letzten Jahren laut Bundesbank bei drei enorm bedeutungsvollen internationalen Institutionen gekommen: Sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die OECD und die EU-Kommission hätten die Output Gap systematisch zu hoch geschätzt. Die Lücke musste mehrfach revidiert werden. Hätten die verschärften Fiskalregeln damals schon gegolten, hätten die Schuldenquoten der Eurostaaten auf Grundlage der OECD-Berechnungen auf 17 Jahre gerechnet insgesamt um 15% höher liegen können, ohne gegen die Defizitregeln zu verstoßen. Beim IWF sind es immerhin 10% auf 12 Jahre. Die EU-Kommission kommt in neun Jahren auf 6%. Die Bundesbank hält das für enorm bedenklich. Sie warnt vor der „Gefahr, dass bei Fiskalregeln, die auf konjunkturbereinigte Finanzierungssalden abzielen, die gewünschte Schuldeneindämmung aufgrund einer regelmäßigen Überschätzung des Produktionspotenzials verfehlt wird“. Auch die Notenbanken verwenden übrigens das Potenzialwachstum ausdrücklich als Orientierungspunkt für ihre Geldpolitik.
Fazit: Laut Bundesbank hatten wichtige internationale Institutionen wie IWF und OECD in der Vergangenheit zu viel Mut zur (Produktions-)Lücke. Hier zeigt sich, wie mit statistischen Feinheiten verbindliche Schuldengrenzen „flexibilisiert“ werden können.