Die große Entfremdung
Nicht nur im Nahen Osten müssen die USA ihre Außenpolitik überdenken.
Im Nahen Osten werden die geopolitischen Karten neu gemischt. Frühere Verbündete werden dabei zu Rivalen, ehemalige Feinde entdecken plötzlich gemeinsame Interessen. Den Anstoß dazu gibt in erster Linie das Machtvakuum in Syrien und im Irak sowie der Vormarsch der Terrortruppe IS. Aber auch die Gewichtsverlagerungen im Ölmarkt zeigen Wirkung. Der zerfallende Irak zwingt die USA zur Annäherung an den Iran. Die Mullahs werden im Kampf gegen IS und zur Stabilisierung des Irak gebraucht. Da sie sich offenbar auch bei den Atomwaffenverhandlungen kompromissbereit zeigen, dürfte eine alte Erzfeindschaft begraben werden. Das Weiße Haus will inzwischen sogar Syriens Diktator Bashar al-Assad in den Kampf gegen IS einbeziehen. Die zunehmende Energieunabhängigkeit der USA lockert die Bande zum alten Verbündeten Saudi-Arabien. Das Regime der Wahhabiten, ohnehin ein Förderer des Islamismus, ist nicht mehr sakrosankt. Als alte Feinde des Assad-Regimes schmeckt Riad der Strategieschwenk Washingtons gar nicht. Das NATO-Mitglied Türkei geht auf Distanz zum Westen. Mit der Unterstützung von IS gegen die Kurden und den kaum verhüllten Großmachtambitionen in Syrien und Irak isoliert sich Ankara zunehmend im Bündnis. Im Golfkooperations-Rat verschärft sich der Konflikt zwischen Katar einerseits und Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein andererseits. Die drei Staaten haben ihre Botschafter aus Katar wegen dessen Unterstützung der Muslimbrüderschaft im arabischen Frühling zurückgezogen.
Fazit: Der Nahe Osten ist im Umbruch. Der Flüchtlingsstrom hält an. Die Europäische Union beobachtet das Geschehen von außen und hat keine eigene Strategie.