Pfusch im Ministerium
Europa hat seine Anforderungen an Baustoffe harmonisiert. Das zuständige Ministerium setzte deutsche Standards nicht durch. Jetzt läuft es den Folgen hinterher. Weil es seine Möglichkeiten nicht genutzt hat.
Die Bundesregierung hat im Baurecht einen ziemlich großen Bock geschossen. Jetzt bemüht sie sich, die Folgen einzugrenzen. Betroffen sind die Sicherheit (Brandschutz) sowie der Gesundheitsschutz und Umweltschutz an Gebäuden. Noch zu Zeiten, als das Bau- und Verkehrsministerium SPD-geführt war, initiierte Brüssel die Harmonisierung der Baustoffvorgaben in Europa. Und die damalige Abteilungsleitung im Ministerium schlief den Schlaf der Gerechten.
Europa einigte sich auf Normen, die deutlich unter den deutschen Standards lagen. Doch statt alle Möglichkeiten zu nutzen, auf dem europäischen Verfahrenswege gegen die Abmachungen vorzugehen, scheute das damalige Bau- und Verkehrsministerium die Auseinandersetzung mit Brüssel. Nicht so schlimm, dachte man im Ministerium. Das regeln wir durch „Lückenschluss“ in den einschlägigen Landesbauordnungen.
Doch der EuGH sperrte sich im Herbst 2014 gegen die nachträgliche Aushebelung der Harmonisierung. Er verwies, nachdem Hersteller gegen die Normenausweitung geklagt hatten, auf die nicht genutzten regulären Einwendungsmöglichkeiten der Bundesregierung. Seitdem dürfen bei Bauprodukten über die europäische CE-Kennzeichnung hinaus keine weiteren Prüfungen verlangt werden. Betroffen sind 84 harmonisierte Europäische Normen, die hinter den bislang in Deutschland gültigen Anforderungen in den Landesbauordnungen und der Bauregelliste zurückbleiben.
Die Folgen könnten erheblich sein. Denn die deutschen Anforderungen an Baustoffe waren nicht nur deutlich höher als sonstige europäische – sie verteuerten auch die Produkte gegenüber denen europäischer Wettbewerber erheblich. Die Risiken nennt die Bundesregierung selbst: „Es bestünde die Gefahr, dass Hauseigentümer und Mieter einer höheren Schadstoffkonzentration ausgesetzt werden.“ Auch der Brandschutz werde herabgesetzt.
Die Bauindustrie geht davon aus, dass allein durch den Preiswettbewerb in einigen Jahren die deutschen Standards vom Markt verdrängt werden. Bis dahin dürften auch andere Bundesländer dem Beispiel Sachsen-Anhalts gefolgt sein, das im Oktober 2016 seine Landesbauordnung an europäischen Vorgaben angepasst hat. Die Behauptung der Bundesregierung, sicheres Bauen sei weiterhin möglich, da „in der andauernden Übergangsphase die bisherigen Anforderungen an Bauprodukte fortgelten“, ist das Pfeifen im Walde.
Bei der Kommission ist die Bundesregierung mit Einwänden gegen die harmonisierten europäischen Bauproduktnormen bereits zweimal abgeblitzt. Jetzt versucht sie es mit einer erneuten Klage vor dem EuGH. Die Klageschrift hat sie am 19. April eingereicht.
Große Chancen geben wir der Klage nicht. Normen haben vielfach die Rolle von Zöllen eingenommen. Sie schützen heimische Hersteller vor der billigeren Konkurrenz aus dem Ausland. Es spricht viel dafür, dass dies auch im Fall der Bauprodukte teilweise so war.
Fazit: Bauherren werden dem Ministerium für dessen Fauxpas noch dankbar sein. Ihre Kosten sinken.