Präsident Biden unter hohem Handlungsdruck
Joe Biden wird sofort nach seiner Amtseinführung am 20.1. unter erheblichem Handlungdruck stehen. Und zwar in der eigenen Partei, der Bevölkerung und aus dem Ausland. Das ist quasi die Kehrseite der Möglichkeit zum (Beinahe-)Durchregieren. Denn mit den gewonnenen Senatorenposten in Georgia haben die Demokraten jetzt im Weißen Haus, Repräsentantenhaus und Senat das Sagen – also sowohl in der Exekutive als auch in der Zwei-Kammern-Legislative. Viele Gesetzesvorhaben benötigen zwar eine 60% Mehrheit. Doch die Ausgangsposition weckt hohe Erwartungen. Bidens Fallhöhe ist somit rasch gestiegen.
"Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Bidens Botschaft im Wahlkampf war klar: „Ich bin der Anti-Trump“. Nach vier Jahren Gepolter in Washington verbinden die Wähler mit dem Demokraten große Hoffnungen auf Reformen und Investitionen. Die linke Wählerschaft sowie die eigene Partei werden ihn jetzt heftig unter Handlungsdruck setzen. Die Parteilinken der Demokraten um Alt-Ikone Bernie Sanders und Shootingstar Alexandria Ocasio-Cortez werden ihrem „Joe“ einiges abverlangen: massive staatliche Investitionen in Umweltschutz, Infrastruktur und Energie; eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar pro Stunde und eine de facto Wiederbelebung von Obamacare. Gesellschaftspolitisch werden sie Antirassismus-Maßnahmen, eine leichtere Gangart in Fragen der Migration und Gleichstellungsgesetze für die LGBTQ-Community einfordern.
Die enttäuschte Trump-Anhängerschaft auf der anderen Seite des politischen Spektrums wird dagegen halten. Und den Druck erhöhen, um dann jede misslungene politische Maßnahme umso lauter und hämischer kommentieren zu können. Denn schon in zwei Jahren sind bereits wieder Zwischenwahlen … Trumps Anhänger halten zudem mehrheitlich wenig von Öko-Plänen, einer staatlichen Krankenversicherung und liberalen Gesellschaftsforderungen. Die Gleichstellungsgesetze werden sie zwar schlucken müssen. Dafür wird ihnen Biden damit entgegenkommen, dass er an der umstrittenen Fracking-Technologie festhält und in die maroden Brücken und Straßen investiert. Dass der kommende Präsident aber Obamacare so ohne Weiteres an ihnen vorbeischleusen wird, ist unwahrscheinlich.
Außenpolitische Enttäuschung programmiert?
Nicht zuletzt steigt auch der internationale Druck. Zwar wird Biden prestigeträchtig wieder in die WHO und das Pariser Klimaabkommen einsteigen. Eine Wiedereinsetzung des Atomabkommens mit dem Iran rückt aber in weite Ferne. Teheran begann am 04.01.2021 erneut damit Uran anzureichern.
Auch sicherheitspolitisch wird sich Joe Biden schnell unbeliebt machen. Er weiß, dass der Verteidigungsetat (740 Mrd. US-Dollar 2021, Vorjahr 738 Mrd.) immer schwerer zu schultern ist. Den NATO-Verbündeten muss er weiterhin das schon von Trump forcierte unliebsame 2%-Ziel schmackhaft machen. Und er muss ihnen wohl auch beibringen, dass sich die USA aus mehr und mehr Konfliktregionen zurückziehen werden – so seine Ansagen im Wahlkampf. Gleichzeitig darf er seine Verbündeten auch nicht zu sehr verprellen. Eine (zum Teil weitergehende) Annäherung an Russland oder China ist nicht in seinem und dem Sinne der USA.
Geld gegen die Tränen
Will Biden alle Akteure bei Laune halten, braucht er Geld. Schon aktuell liegt die US-Staatsverschuldung bei 27.294 Mrd. US-Dollar. Bis zum nächsten Präsidentschaftswahlkampf 2024 wird sie laut aktuellen Prognosen des IMF auf 33.771 Mrd. US-Dollar steigen. Allein das Infrastrukturprogramm wird zwei Billionen US-Dollar wiegen; in etwa so hoch wird auch das Staatsdefizit sein. Eine Zinswende wird (vgl. FB 21.12.2020) für die USA dann immer schwerer zu verkraften.
Fazit: Biden wird zwangsläufig Wählergruppen und internationale Partner verprellen. Denn nun scheint für ihn der Weg frei, seine Wahlversprechen umzusetzen, ohne dass ihm die Republikaner größere Steine in den Weg legen können. Das weckt Begehrlichkeiten auf allen Seiten, im Innern wie im Äußeren.