Schnelles Comeback
Die deutsche Wirtschaft kann Durchatmen. Zumindest das zweite Halbjahr ist konjunkturell gerettet. Es zeigt sich mit etwas Wohlwollen ein unvollendetes V als Erholungsmuster. Handel und Konsum springen weltweit wieder an. Wichtige Wirtschaftspartner wie USA und China haben das wirtschaftliche Tief überwunden. Von Februar bis April war der Welthandel um 15% eingebrochen. Im Juni lag er nur noch um 9% unter Vorjahresniveau. Nach der Finanzkrise dauerte es 13 Monate, bis der Handel wieder auf das Niveau kam, das diesmal nach zwei Monaten erreicht ist.
Die Stimmung in Deutschland unter Unternehmern und Führungskräften ist gut. Knapp jeder Dritte (32%) der Befragten Führungskräfte in Deutschland vertraut trotz Corona auf die positive wirtschaftliche Entwicklung des eigenen Unternehmens bis Ende 2020, besagt eine Umfrage des Personaldienstleisters Robert Half. Für 42% der Befragten zeigen sich bisher keine Auswirkungen aufgrund der Pandemie. Und die harten Daten signalisieren inzwischen stabil eine kräftige Erholung.
Boom im 3. Quartal
Vor allem das 3. Quartal wird ein Boom-Quartal, nach der tiefen Talfahrt im zweiten. Die ifo-Konjunkturuhr steht demgemäß auch im Boombereich. Am deutlichsten preschen die Volkswirte der Commerzbank vor. Sie gehen jetzt von 9% Wachstum im 3. Quartal aus. Und einem Einbruch von "nur noch" -4,5% im Gesamtjahr. Das wäre weniger als bei der Finanzkrise 2008/09. Es wirken die stabilisierenden Maßnahmen: Das Kurzarbeitergeld hat einen Großteil der Kosten der Minderauslastung ersetzt. Die Insolvenzaussetzung hat eine Pleitewelle zunächst verhindert.
Das IfW ist nicht ganz so mutig. Es wird seine Jahresprognose für 2020 um etwa einen Prozentpunkt auf -5,8% anheben. Nur das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält "traditionell" dagegen. Konjunkturchef Klaus Michelsen spricht von "verfrühter Euphorie". Er verweist darauf, "dass derzeit gleich mehrere Faktoren das Wachstum nach oben verzerren" würden. Zuvor unterbundene Aktivitäten würde gerade wieder aufgenommen. Die Lieferketten begännen wieder zu funktionieren.
Wachsende Insolvenzzahlen werden die Konjunktur nicht ausbremsen
Immer noch gibt es eine Reihe an Gegenargumenten. Vor allem in der Bevölkerung sitzt der Pessimismus tief. Eine gerade veröffentlichte Umfrage der Allianz zeigt: 59% der deutschen Befragten halten die wirtschaftliche Lage für schlecht, gegenüber 30% im Vorjahr. Die Lage ist noch schlechter in Frankreich (81%) und Italien (80%).
Aber auch die Zukunftsaussichten werden in düsteren Farben gesehen. Vor allem in Frankreich (82%) und Italien (77%). Aber selbst nahezu die Hälfte der deutschen Befragten (49%) hat wenig Hoffnung auf Besserung in naher Zukunft.
Warnende Stimmen aus dem Finanzsektor
Im Unternehmenssektor sind die warnenden Stimmenden ebenfalls nicht zu überhören. Gerade erst hoben BaFin-Chef Felix Hufeld und Deutsche Bank-Chef Christian Sewing den Zeigefinger. Sie sprechen vor einer kommenden Pleitewelle bzw. einer Zombifizierung der Wirtschaft mit vielen künstlich am Leben gehaltenen Unternehmen, denen die Insolvenz zunächst erspart wird. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) ist dagegen eher "bedenkenlos". Auch wenn man sich bei den Mittelstandsfinanzierern Sparkassen und Volksbanken umhört, stehen die Zeichen derzeit auf Gelb-Grün.
Sicher ist: MIt dem Auslaufen der Insolvenzschutzregelung Ende September wird es eine Zunahme der Insolvenzen geben. Doch noch ist unklar, wie hoch sie wirklich ausfällt. Betroffen werden vor allem Gastronomie, Hotellerie und Tourismus sein sowie der stationäre Einzelhandel. Aber das wird die (Aufhol-)Konjunktur nicht ausbremsen. Die Unternehmen haben zwar ihre Zahlungsziele laut Creditreform leicht gekürzt ( von 32,33 auf 32,06 Tage). Auch dauert es etwas länger, bis Rechnungen beglichen werden. Aber dramatisch ist die Lage nicht. Unsicher ist: Kommt es zu Ansteckungsreaktionen, reißen Pleite-Firmen andere mit?
Eine schwer berechenbare Gefahr sind natürlich weitere Anti-Corona-Maßnahmen, die die Wirtschaft in wichtigen Staaten erneut ausbremsen könnten. Voran die USA. Hier ist durchaus ein weiterer Schock möglich, ein nochmaliges Abrutschen unter die Nulllinie. Das würde auch die Entwicklung bei uns bremsen.
Treiber der Entwicklung: staatliche Maßnahmen und anspringender Konsum
Die Treiber der schnellen Entwicklung sind die staatlichen Maßnahmen. Die Finanzhilfen werden allerdings erst mit Verzögerung wirken. Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Und Europa redet auch noch mit (Beihilfen). Ab dem 4. Quartal dürfte es in deutlich gemächlicherem Tempo aufwärts gehen. Schon im August hat der Aufschwung im Dienstleistungsgewerbe gegenüber Juli deutlich nachgelassen. Die Industrieproduktion fiel im Juli mit einem Anstieg auf Monatsbasis um 1,2% eher enttäuschend aus. Dagegen verbesserte sich der Auftragseingang in der Industrie weiter. Die Zahl der Neuaufträge stieg moderat.
Der Hauptimpuls kam jedoch – für Deutschland eher untypisch – weiterhin vom Binnenmarkt. Demgegenüber signalisieren die Daten einen kräftigen und beschleunigten Rückgang der Exportorders. Auch der dümpelnde Ölpreis spricht nicht gerade für überschäumende Erwartungen. Zudem bremst der Eurokurs. Er könnte 2021 zum Problem werden. Denn anders als in der letzten Hochphase des Euro von 2001 bis 2007, als die Einheitswährung Kurse um 1,60 zum Dollar erreichte, sind die Unternehmen derzeit weniger wettbewerbsfähig. Die lange Phase mit konjunkturellem Rückenwind hat manchen eingeschläfert – bei Digitalisierung und innovativen neuen Produkten.
Fazit: Die Perspektive ist zumindest bis Mitte 2021 auch aus einem anderen Grund weitgehend ungetrübt. Es ist Wahljahr in Deutschland. Da verbietet es sich, den Wähler zu verärgern. Über Steuererhöhungen wird – zumindest auf breiter Front – nicht geredet, nicht mal laut nachgedacht. Und falls es irgendwo hakt, werden weitere Mittel locker gemacht und Ausnahmeregelungen verlängert. Einschläge können 2021 somit nur „von außen“ kommen.
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