Österreichs Kanzler Sebastian Kurz macht der europäischen Politikergarde vor, wie man mit Krisen umgeht, wenn man Vertrauen halten will: sofort konsequent handeln. Kurz hat die Koalition unmittelbar nach Bekanntwerden der Affäre Strache vom Wochenende aufgelöst und Neuwahlen anberaumt. Ein solcher Umgang mit politischen Fehltritten eines Koalitionspartners (oder Parteifreundes) hat in der heutigen Politik Seltenheitswert. Man hätte sich auch ein langes Palaver vorstellen können, darüber, wer mit welchen Motiven Strache eine Falle gestellt hat, dass dieser erst nach einigem Zaudern auf die vermeintliche Millionenzuwendung reingefallen ist und damit seine Glaubwürdigkeit verkauft hat. Insofern erteilt sich Kurz in dieser Situation selbst den politischen Ritterschlag.
In der Hauptstadt trommeln Wirtschaftsverbände und Lobbys lautstark für Europawahl und Europa. Die Redaktionen werden mit Pressemitteilungen überhäuft. Das wirkt wie lautes Pfeifen im Walde. BDI, BDA, DIHK und ZDH kommen mit einem gemeinsamen Appell: „Als größter demokratischer Freiheits-, Rechts-, Wirtschafts- und Wohlstandsraum der Welt mit hoher sozialer Verantwortung ist Europa Teil unserer Identität. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai geht es um die Zukunft Europas." Die Bertelsmann-Stiftung kommt mit einer Studie daher, die den finanziellen Gewinn pro Kopf und Jahr durch den Binnenmarkt herausgefunden haben will (im Schnitt ca. 1.000 Euro p.a.). Unglücklicherweise steht das in krassem Gegensatz zu den dünnen Wahl-Aussagen der Spitzenkandidaten für die Europawahl. Das geht quer durch alle Parteien. So bemerkt denn auch der maschinenbauerverband zu Recht: „Dem Bekenntnis zur EU müssen konkrete Initiativen folgen."
Das Rezessionsbarometer der in Liechtenstein ansässigen VP Bank für die Eurozone driftet immer weiter in die Schlechtwetterzone. Aktuell liegt die Wahrscheinlichkeit für eine wirtschaftliche Kontraktion bei 28%. Das ist so hoch wie zuletzt während der Eurozonen-Krisenjahre 2011 und 2012. Die Werte der letzten Konjunkturabschwächung der Jahre 2015 und 2016, als keine Rezession folgte, wurden bereits überschritten. Hoffnungsschimmer: Nur wenn das Barometer eine Wahrscheinlichkeit von deutlich über 50% ausweist, wird die Lage tatsächlich bedrohlich. Dennoch: „Es besteht ein erhebliches Risiko einer Abkühlung der Ausrüstungsinvestitionen."
Derzeit wird in London wieder viel über ein zweites Referendum gesprochen. Die beiden großen Parteien könnten sich in den nächsten vier Wochen auf einen gemeinsamen Beschluss einigen, schreibt unser Korrespondent. Die technische Vorlaufzeit wird auf sechs Monate veranschlagt, so dass das Referendum im Herbst oder zu Winterbeginn angesetzt würde. Der Schuss dürfte aber nach hinten losgehen. Eine aktuelle Eurobarometer-Umfrage zeigt: 45% sind für den Verbleib in der EU, 37% für den Austritt, 18% sind unentschlossen. 54% meinen, ihr Land habe von der Mitgliedschaft profitiert, 57% glauben, die EU entwickele sich in die falsche Richtung. Ein knappes Ergebnis – selbst, wenn es für den Verbleib ausfiele –würde aber das Land nicht befrieden. Abgesehen von Problemen des Wiedereintritts (Briten-Rabatt). Dann, so heißt es, müsste wohl ein drittes Referendum die Entscheidung bringen.
Mit seiner Titelgeschichte „Putins Puppen" zur vermeintlichen Fernsteuerung der AfD durch Moskau hat der Spiegel nach dem Fall Relotius erneut Irrtitation ausgelöst. Die Geschichte hat kaum mehr zu bieten als die Russland-Kontakte eines AfD-Abgeordneten „aus der zweiten Reihe" (Spiegel): Markus Frohnmaier. Die Quelle der Geschichte ist auch nicht gerade über alle Zweifel erhaben. Es handelt sich um das vom russischen Geschäftsmann und Putin-Gegner Michail Chodorkowski finanzierte Recherchezentrum, das „einen Großteil des Materials" zur Verfügung gestellt hat. Über die Russland-Connections zahlreicher Mitglieder der Partei Die Linke, insbesondere aber von Ex-SPD-Regierungschef Gerhard Schröder, der Nord Stream 2 für die Russen einfädelte und Putin einen „lupenreinen Demokraten" taufte, wird in der Geschichte kein Wort verloren. Da sind dem Spiegel – nicht zum ersten Mal – offenbar die Dimensionen verrückt.
Möglicherweise teilen die europäischen Grünen bald das Schicksal der konservativen Fraktionsgemeinschaft EVP im Europaparlament. Die stand wegen der langen Mitgleidschaft der Fidesz-Partei des viel gescholtenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban lange unter öffentlichem Druck. In der ungarischen Hauptstadt haben sich gerade die (national-liberalen) Grünen der LMP mit der ultrarechten Jobbik zusammengetan. Das Ziel: Sie wollen in Budapest einen gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten durchbringen. Róbert Puzsér ist von TV-Auftritten her bekannt. Er ist parteilos, gilt aber als der LMP nahestehend. Ihm geht es um Es ginge um die "Lebensqualität in Budapest". Man darf gespannt sein, wie die Bundes-Grünen auf die Kooperation reagieren.
Die jüngste Abstimmungsniederlage von Noch-Premierministerin Theresa May bringt die Entwicklung deutlich voran. Denn die Regierung ist jetzt weitgehend raus aus dem Verfahren. Die Verantwortung geht auf die Parlamentarier über. Und damit auch die Verantwortung fürs Scheitern. Das trifft nun alle – die Opposition eingeschlossen. Nun müssen all jene den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, die gegen einen Austritt ohne Vertrag votiert haben. 12 Tage haben sie dafür Zeit. Gibt es bis zum 11.4. – dann tritt der Rat der EU-Ministerpräsidenten erneut zum Brexit zusammen –neue Verhandlungsführer in London, wird sich auch die EU neuen Vorschlägen – und sei es zum Timing – nicht verschließen. Was bleibt, ist die Pflicht zur Teilnahme an der Europawahl im Mai.
Stand: 11.08.2017 19:01
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