Kanzlerkandidatur: Gabriels schleichender Abschied
SPD-Chef Sigmar Gabriel treibt seine Wackel-Politik weiter. Damit gefährdet er seine Kanzlerkandidatur.
In Berlin wird die Frage immer lauter gestellt: Will Sigmar Gabriel die Kanzlerkandidatur nicht mehr? Der SPD-Chef löst nur noch Kopfschütteln aus. Jüngste Eskapade: Er plädiert erneut für Obergrenzen bei der Zuwanderung, um die Integrationsfähigkeit des Landes nicht zu überfordern. Seit Januar vertritt er diese Meinung. Überraschend ist der Zeitpunkt, an dem er sich nun zu dem umstrittenen Thema äußert. Denn er distanziert sich damit nicht nur von Kanzlerin Angela Merkel – obwohl er selber mit am Kabinettstisch saß, als es Merkels Politik guthieß. Er setzt sich auch vom Projekt Rot-Rot-Grün als Option für die Zeit nach der Bundestagswahl 2017 ab. Dabei hatte er es selbst vor Kurzem erst ins Spiel gebracht – und seiner Partei einen Hauch von Hoffnung verpasst. Linke wie Grüne vertreten beim Thema Zuwanderung mehrheitlich eine dezidiert andere Position als die von Obergrenzen. Ähnlich erratisch sind seine Äußerungen zu den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA. Am 19. September soll ein kleiner Parteikonvent die Position der SPD in dieser Frage endgültig bestimmen. Gabriel trat zunächst vehement für CETA und TTIP ein. Das ausgehandelte CETA sollte Vorbild für TTIP werden. Jetzt sagt der Wirtschaftsminister (!) TTIP ohne Not und kampflos adieu: Es bewege sich zu wenig. Ein Schlag ins Gesicht zumindest der größeren Unternehmen, aber auch der Industriegewerkschaften. Allmählich weiß in der Partei niemand mehr, wofür Gabriel steht. Und auch nicht, wie man ihn verteidigen soll. Zu oft hat er schon mitten im Fluss die Pferde gewechselt. Es ist noch nicht lange her, da wollte er die Wahl in der Mitte gewinnen und kein linkes Projekt. Es gibt offenbar kein Thema, für das er wirklich rückhaltlos eintritt. So einer ist als Kanzler nicht zu gebrauchen. Geht er auch noch auf dem Parteikonvent in drei Wochen mit seinem bisher geäußerten Wunsch, CETA durchzubringen, baden, sind seine Tage als Kanzlerkandidat gezählt. Etliche in der Partei meinen, dass er es darauf anlegt.
Fazit: Die SPD könnte im Wahljahr 2017 ohne Programm, ohne Kandidaten und potenziellen Koalitionspartner dastehen. Der jetzige Parteichef droht es sich mit allen zu verscherzen.