Blick auf Substanz und Bewertung
An den Börsen geht es weiter rund, der Nasdaq weckt Erinnerungen an den Neuen Markt. Jüngstes Opfer: Snap verliert über 40% seiner Milliardenbewertung an einem Tag. Erkenntnis: Die Anleger schärfen brutal den Blick auf Substanz und Bewertung. Damit gehen auch in diesem Umfeld Chancen einher.
Die Richtungssuche an den Börsen geht weiter, der Boden ist dabei aber noch nicht gefunden. Bisher versuchen die Märkte nur, sich zu stabilisieren. Und dabei haben sie ganz offensichtlich ihre liebe Not. Während sich DAX, Dow Jones und S&P 500 noch einigermaßen halten können, steht der Nasdaq brutal unter Druck. Vom Hoch ging es mit den Techs schon 30% nach unten. Das ist ein klarer Bärenmarkt. Dow und Nasdaq liegen mit einem Rückgang von etwa 17% noch marginal über der Schwelle von 20% vom Hoch, die einen Bärenmarkt definiert.
Nasdaq weckt Erinnerungen an den Neuen Markt
Wie heftig der Verkaufsdruck bei den Techs ist, hat gerade die US-Aktie von Snap gezeigt. Die Aktie - immerhin mit Milliardenbewertung - wurde um 42% in die Tiefe gerammt. Auslöser war, dass das Unternehmen in seinem Quartalsausblick die Wachstumsprognosen gesenkt hatte. Die unbändigen Wachstumsphantasien vieler Anleger bekommen gerade Risse. Denn Umsatz ist langfristig eben nicht alles. Am Ende muss auch irgendwann mal Geld verdient werden. Sonst ist alles Nichts. Da werden Erinnerungen an die Tech-Blase am Neuen Markt von 2001/2002 wach...
Insbesondere der Blick auf die US-Börsen zeigt, wie stark dort die Anleger einer boom-and-bust-Logik folgen. Stimmen die Rahmenbedingungen, werden Aktien in unglaublicher Geschwindigkeit von professionellen Anlegern und Computern, die definierten Handelslogiken trendverstärkend folgen (Algo-Trading) nach oben gezogen. Das kann jahrelang laufen und die fundamentale Überbewertung kann enorme Größenordnungen erreichen (boom). Aber wehe, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Dann geht es genauso brutal mit denselben Mechanismen abwärts (bust).
Ist der Hebel umgelegt...
Ist der Hebel erst einmal umgelegt, ändert die Börse ihre Trend-Richtung so schnell nicht wieder. Darauf hat gerade auch der Investor und Hedgefonds-Manager Bill Ackman hingewiesen. Der ist sich sicher, dass die US-Märkte erst dann wieder einen neue Richtung einschlagen, wenn die Fed eine Ansage nach dem Motto "whatever it takes" macht. Allerdings meint Ackman damit, dass die Notenbank ankündigen müsse, die Inflation brutal zu zügeln und den Leitzins sehr schnell auf ein neutrales Niveau anhebt. Angesichts von 8% Inflation, einmalig vielen offenen Stellen und einer geringen Arbeitslosigkeit (3,6%) hätte die Fed gar keine Alternative. Bleibe die Fed weiter so gemächlich, würden die Inflationsraten bald zweistellige Raten erreichen.
Aufschluss darüber, wo die Fed steht, wird es heute (Mittwoch) geben, wenn das jüngste Notenbank-Protokoll veröffentlicht wird. Daraus könnte hervorgehen, wie ernst es die Fed mit der Zinsstraffung meint. Immerhin hatten jüngst einige Fed-Mitglieder davon geredet, die Zinsstraffungen auszusetzen, da die Märkte unter Druck stehen. Würde die Fed das allerdings tun, dann würde sie ihre Glaubwürdigkeit vollends verspielen. Und vermutlich würde der Markt dann den Job der Fed machen. Geht der Glaube daran verloren, dass die Fed die Inflation bremsen will und kann, werden Aktien noch auf ganz andere Niveaus fallen.
Fazit: Es gibt nur zwei Wege, die hohe Inflation zu stoppen. Entweder aggressive Zinsschritte oder ein wirtschaftlicher Kollaps. Das gilt auch für Europa. Die Notenbanken haben sich selbst in eine delikate Position manövriert, sind das Zünglein an der Waage, können aber fast nur verlieren. Für Anleger ist noch nicht absehbar, wo der Bärenmarkt seinen Boden finden wird. Käufe sind möglich, aber nur sehr selektiv nach Branchen und Unternehmen (Substanz und Bewertung) oder kurzfristig.