Börsen fahren Bärenmarkt-Rally weiter
Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins erhöht und ist in die aktive Spread-Kontrolle eingestiegen. Mit dem neuen Kriseninstrument legen die "Geldhüter" in der Eurozone ihr Statut endgültig beiseite. Was bedeutet das für Aktien und Euro?
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist heute der Akteur des Tages. Die EZB hat heute die Zinswende vollzogen, dabei das Ruder aber nur um 1 Grad eingeschlagen. Der erste Zinsschritt war mit 50 Basispunkten eine Überraschung. Die Geldpolitik bleibt angesichts der Inflationsrate aber weiter expansiv. Auch die Aussicht auf den nächsten Zinsschritt im September ist klar. Dann dürften es 50 oder 75 Basispunkte werden. Alle weiteren Schritte hält sich die EZB noch offen.
Wie sieht die Spread-Kontrolle aus?
Wichtiger als der Zinsentscheid waren die Informationen zum neuen "Kriseninstrument" der EZB, dem Anti-Fragmentierungsprogramm. Ziel der EZB ist die Spread-Kontrolle. Das kann nur gelingen, indem die Zentralbank vermehrt Anleihen von Ländern kauft, deren Renditen stärker ansteigen. Angesichts eines Schuldenstandes von 2,5 Bio. Euro sind das z. B. italienische Papiere.
Mit dem neuen Transmission Protection Instrument (TPI) legt die EZB die bisher geltende Regelung ad acta, die Anleihekäufen quotal zu steuern. Damit hat sie ihr Mandat endgültig überzogen. Schon die Anleihekäufe sind problematisch, aber immerhin finanziert die EZB so noch allen Staaten gleichmäßig und relativ zu ihrem Gewicht in der Euro-Zone. Die Bevorzugung einzelner Staaten ist eine nicht mehr zu leugnende direkte Staatsfinanzierung.
Direkte Staatsfinanzierung nicht mehr zu leugnen
Die Anleihen der bevorzugten Staaten werden davon profitieren. Sogar der Euro könnte - kurzfristig - einen Freudensprung machen. Denn eine schnelle Eskalation der Euro-Krise 2.0 wäre vom Tisch. Langfristig wird die Gemeinschaftswährung dann aber weich wie Wachs in der italienischen Hochsommer-Sonne. Für Anleger dürften vor diesem Hintergrund strategisch Aktien aus andere Währungsräumen (z.B. Schweiz, USA, Norwegen, UK) interessanter werden.
An den Aktienmärkten läuft unterdessen weiter die nächste Bärenmarkt-Rallye. Die ist auf dem aktuellen Niveau zwar schon an ihrem ersten Widerstand angekommen. Wir erwarten aber, dass sie noch ein Stück weiter laufen wird. Einerseits wird der EZB Zinsentscheid die Märkte noch ein Stück tragen. Andererseits dürfte gerade die extrem schlechte Stimmung bei den US-Investoren ein Motor sein. Die institutionellen Investoren in den USA sind gerade sogar pessimistischer als zum Höhepunkt der Finanzmarktkrise 2008/09. Viele negative Meldungen (z. B. Abo-Rückgänge bei Netflix) stecken da schon drin.
Bärenmarkt-Rally läuft
Zur Bärenmarktrally passt, dass die Investmentfonds ihre in den vergangenen acht Wochen hoch gefahrene Liquidität jüngst wieder leicht reduziert haben. Die Fonds haben auf dem gedrückten Kursniveau also bereits wieder begonnen, ausgewählte Titel und gefallene Engel einzusammeln. Das geht einher mit der Spekulation, dass die US-Inflation bereits nahe ihrem Verlaufshoch angelangt sein könnte. Zwar sind gerade die US-Zinskurven über diverse Zeiträume invers. Aber sie kippen derzeit nicht mehr weiter. Der Preisdruck am langen Ende scheint nachzulassen, passend zu den Rücksetzern bei den Rohstoffen. Ein Teil des Inflationsdrucks schwindet damit. Dabei hilft auch der starke Dollar.
Fazit: Die Börsen sind weiterhin taktisch geprägte Trading-Märkte. Fundamental steht weiter die Frage im Raum, ob die USA und Europa in eine Rezession abgleiten und wie tief und lang sie wird. Im DAX hat die Bärenmarkt-Rallye Potenzial bis 13.700 Punkte. Wer nahe der Verlaufstiefs gekauft hat, realisiert schnelle Gewinne oder sichert diese vorerst ab.