Die Börsen schnuppern weiter Höhenluft, aber der Verkaufsdruck nahe der Höchstkurse nimmt deutlich zu. Das sehen wir im DAX, aber auch in den USA. Zwar gibt es teilweise dynamische Anläufe nach oben. Halten können die Indizes die höheren Niveaus aber nicht. Auf der anderen Seite wird weiterhin jeder kleine Rücksetzer sofort gekauft.
Wir sehen weiterhin den klassischen Verlauf einer Top-Bildung. Die Indizes stoßen kontinuierlich an einen Kursdeckel (DAX 15.600, Dow 35.000, S&P 4.250 Punkte) und kommen nicht signifikant darüber hinaus. Es gibt keine Anschlusskäufe, die neue Aufwärtsdynamik entfachen. Die Schwankungsbreite der Kurse schnurrt immer weiter zusammen, die Volatilität ist sehr gering. Nach dem klassischen Verlaufsmuster endet eine solche Bewegung in einem größeren Ausbruch.
Profis halten die Füße still
Das Bild von uns von Händlern bestätigt. Wir hören, dass gerade keiner auf dem falschen Fuß erwischt werden will. Es gibt einige Argumente für steigende Kurse (z. B. die gute Konjunktur), aber auch viele Risiken (Zinsen, geldpolitische Wende). Diese Einflussfaktoren sind nicht neu, aber ihre Bewertung wird ambivalent. Darum scheuen die Anleger gerade das Risiko und antizipieren den wahrscheinlicher werdenden großen Ausbruch. Das Problem: Dessen Richtung steht momentan noch nicht fest, darum halten alle großen Adressen gerade die Füße still.
Sichtbar ist die weiterhin laufende Sektor-Rotation. Drei Themen treiben spezielle Branchen: Die Konjunkturerwartungen befeuern die Rohstoffpreise. Der Ölpreis notiert wieder über 70 US-Dollar (Brent). Bank-Aktien steigen ordentlich weiter. Hier ist der Zinsperspektive der Kursmotor. Tourismus-Aktien und Airlines ziehen ab, weil die Geschäfte mit globalen Öffnungsschritten in Schwung kommen. Wir hatten schon sehr früh auf diese drei Branchen gesetzt und halten sie auch weiterhin für aussichtsreich. Denn ihre Kurse sind im langfristigen Vergleich nach wie vor vielfach günstig.
Nachhaltigkeit kommt auf den Radar
Strategisch wird das Thema Nachhaltigkeit bei vielen Anlegern in den Fokus rücken. Aus Privatbanken und Vermögensverwaltern hören wir, dass dieses Thema zwingend zu einem strategischen Abwägungskriterium für alle Anleger wird. Auslöser ist das Klima-Urteil gegen den Ölkonzern Shell. Der muss seinen CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 45% verringern.
Das Shell-Urteil ist richtungweisend und wird in vielen Vorstandsetagen als endgültiges Signal verstanden. Wir sind uns sicher: In den nächsten Monaten wird in zahlreiche Vorstandsitzungen über die Auswirkungen, Risiken und Folgen diskutiert werden. Schließlich kommen einige Geschäftsmodelle grundsätzlich in Gefahr.
Shell-Urteil erzwingt neue Risikoanalyse des Portfolios
Für Anleger in betroffenen Branchen bedeutet das: Entweder sie laufen Gefahr, gestrandete Assets im Portfolio zu haben. Oder sie müssen sich darauf einrichten, dass große Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und die Ausrichtungen ihrer Aktivitäten grundlegend neu ausrichten. Das dürfte zu einigen Neubewertungen führen und neue Chancen bedeuten. Der Übergang könnte aber ruppig werden. Vermögensverwalter werden ihre Kunden darum aktiv auf die veränderten Rahmenbedingungen ansprechen. Es wird im Kern darum gehen, das Risikopotenzial auszuloten und Portfolios unter Umständen neu zu gewichten.