Verschobener Aufschwung?
Erst runter, dann kräftig rauf – das ist der Konjunkturverlauf, an den derzeit nicht nur die Börse glaubt (siehe Seite 4).
Dabei stimmen die Zahlen für das letzte Quartal wenig optimistisch. Ob ifo-Beschäftigungsbarometer, Exporterwartungen, Geschäftsklima, Kreditnachfrage – die Daten „vom aktuellen Rand“ kennen nur eine Richtung: nach Süden. Und überall werden in die Erwartungen gerade kräftig heruntergedreht. Voran senkt das Wirtschaftsministerium seinen Ausblick für 2021 kräftig auf nur noch 2,6%.
Stagflation im Winter
Für die Wintermonate ist von Stagflation die Rede: hohe Preissteigerungen, kein Wirtschaftswachstum. Lieferkettenbedingte Knappheitspreise, sagen die Auguren. Das weltweite Realwachstum dürfte im 3. Quartal auf annualisierte 3,2% gesunken sein. Ende des 2. Quartals (IWF-Tagung) ging der Meinungskonsens noch von fast 6% für 2021 aus.
Dennoch glauben zahlreiche Volkswirte an die Trendwende 2022. Die Erwartungen kristallisieren sich auf ein globales Realwachstum im 4. Quartal von 4,5% auf Jahresbasis heraus. Das BMWi erwartet für Deutschland 4,1% (dafür für 2023 nur noch bedenklich 1,6%). Im 2. Quartal soll’s losgehen. Ein zentrales Argument: Es gibt keine Lockdowns mehr. Covid ist überstanden. Denn die Infektionen verursachen weit weniger medizinische Komplikationen und die Wirtschaftstätigkeit wird von Covid-19-Trends deutlich weniger beeinflusst als zuvor.
Etliche Indikatoren sprechen gegen eine schnelle "Booster-Erholung"
Wir sind diesbezüglich sehr skeptisch. Denn:
- Die Knappheitslage bei Vormaterialien und Rohstoffen wird sich länger hinziehen, als die meisten Volkswirte erwarten. Eisen, Aluminium, Magnesium etc. Wir rechnen mindestens bis in den nächsten Sommer mit Mangelerscheinungen.
- Die Situation in den (chinesischen) Häfen wird sich so schnell nicht bessern. China verfolgt eine 0-Covid-Strategie. Und die führt zu ständigen lokalen Lockdowns. Gerade Häfen sind naturgemäß besonders anfällig für den „Viren-Austausch“.
- Im nächsten Jahr droht uns struktureller Arbeitsplatzabbau. Pkw-Hersteller und Zulieferer werden vom E-Auto „überrollt“. Die Banken in Deutschland müssen weiter viel Personal abbauen, um an Profitabilität zu gewinnen. Auch andere Branchen stehen unter Kostendruck.
- In etlichen Schwellenländern werden Zinserhöhungen das Wachstum bremsen. Russland, Brasilien, die osteuropäischen Staaten, Chile und andere Länder passen die Leitzinsen aggressiv an, um Preissteigerungen einzudämmen und die Inflationserwartungen wieder zu stabilisieren.
- Die Erwerbsquoten erholen sich nur langsam und stockend. Sie werden bis auf Weiteres nicht wieder die Stände vor der Pandemie erreichen. In USA nehmen nach Angaben des ‚Bureau of Labour Statistics (BLS)‘ die Kündigungen in vielen Branchen zu.
- Die Haltung bezüglich der Inflationserwartungen kippt gerade. Immer mehr Volkswirte gehen jetzt von längerfristigen Effekten aus, die jedenfalls nicht schon im 1. Quartal 2021 überwunden sind. Das heißt aber auch: die Verbraucher haben weniger Geld für Konsum in der Tasche.
- Somit droht der zuletzt tragenden Säule, der Binnenkonjunktur, ein Stimmungseinbruch. Denn zum Wechsel vom 1. auf as 2. Quartal werden die Versorger ihre Rechnungen verschicken. Und da wird mancher Verbraucher aus allen Wolken fallen, wie hoch die Teuerung bei Energie ist.
- Zum 1. Januar greift die nächste Erhöhung des CO2-Preises. Das treibt die Strom- und Heizkosten weiter hoch, tanken wird über Nacht schon wieder etwa 6 Cent je Liter teurer.
- Zudem ist das Thema Abgabenerhöhungen noch nicht gegessen. Die Krankenkassen haben während Covid vor allem eins generiert: Löcher in den Kassen. Der Pflegebereich ist unterfinanziert. Die Regierung hat Steuererhöhungen entsagt. Aber über die Abgaben wurde noch nicht verhandelt. Hier droht ein echter Stimmungstöter für die Binnenwirtschaft.
- Nicht zuletzt ist das Thema China nichts ausgestanden. Der dortige Kreditmarkt steht unter Druck. Die Bilanzkrise der dortigen Banken wird sich nicht so schnell heilen lassen. Das heißt: Peking dürfte auch 2022 eher auf der Bremse stehen. Das wird die deutschen Exporteure nicht gerade frohgemut stimmen.
Fazit: Aus unserer Sicht sind Börsen wie Konjunkturauguren für 2022 überoptimistisch. Die Flaute wird uns bis in den Sommer 2022 hinein begleiten.