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BFH setzt dem Fiskus Grenzen

Wenn der Finanzbeamte schlampt

Wer glaubt, einen bestandskräftigen Steuerbescheid vorliegen zu haben, obwohl der Finanzbeamte offensichtlich nicht alle Aspekte berücksichtigt hat, sollte sich nicht zu früh freuen. Der Fiskus kann innerhalb von vier Jahren nachkorrigieren. Aber nicht jede Schlamperei fällt darunter.

Das Finanzamt darf sich nicht jeden Schnitzer bei der Bearbeitung Ihrer Steuererklärung erlauben. Zwar gibt es den Fall der "offenbaren Unrichtigkeit" (i.S. des § 129 Satz 1 AO). Der liegt beispielsweise vor, wenn der Steuerzahler in seiner Steuererklärung Einkünfte angeben hat, die aber im Einkommensteuerbescheid nicht berücksichtigt werden, weil eine Anlage zur Einkommensteuererklärung im Finanzamt versehentlich nicht eingescannt und die angegebenen Einkünfte somit nicht in das elektronische System der Finanzverwaltung übernommen wurden. Dann liegt ein "mechanisches Versehen" vor.

Selbst wenn kein Einspruch eingelegt wurde und die einmonatige Einspruchsfrist abgelaufen ist, kann der – bestandskräftige Steuerbescheid – dann noch geändert werden. Z.B. durch eine Korrekturvorschrift der Abgabenordnung (AO). Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen und auch zu seinen Lasten jederzeit innerhalb der vierjährigen steuerlichen Verjährungsfrist berichtigen.

Nicht alles ist eine "offenbare Unrichtigkeit"

Aber auch den nachträglichen Eingriffen durch den Finanzbeamten sind Grenzen gesetzt. Denn nicht alles geht als "offenbare Unrichtigkeit" durch.  Eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung, bei mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen oder Denkfehlern bei der Sachverhaltswürdigung kann sich der Fiskus nicht auf seine Sonderregelung berufen. Ein mechanisches Versehen ist nicht mehr gegeben, wenn der Sachbearbeiter des Finanzamts eine weitere Sachverhaltsermittlung unterlässt, obwohl sich ihm aufgrund ergangener Prüf- und Risikohinweise eine weitere Prüfung des Falles hätte aufdrängen müssen.

Der konkrete Fall: 2011 reichen die Kläger, ein Ehepaar, die Einkommensteuerklärung 2010 auf dem amtlichen Vordruck ein. Die Erklärung enthält u. a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Ehemanns als Programmierer in Höhe von 128.641 Euro sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Frau in Höhe von 28.552 Euro.

Nach den Angaben zur Zentralerfassung des Finanzamts ist die Erklärung im Veranlagungsbezirk als „Schnellbearbeitung 5000er” behandelt und gescannt worden. Im Anschluss an die Erfassung ging im Veranlagungsbezirk EDV-gesteuert eine Hinweismitteilung ein, die u. a. folgende Prüf- und Risiko-Hinweise enthält:

Etliche Risiko- und prüfhinweise für den Finanzbeamten ergangen

  • „PHW 4706: Da der Ehemann/die Ehefrau Einkünfte von weniger als 4.200 Euro erzielt hat, ist zu prüfen, ob er/sie ggf. ohne eigene Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert ist und der verringerte Höchstbetrag zu den sonstigen Vorsorgeaufwendungen (Kz 52.307 = 1) einzugeben ist.
  • RHW 1577: Es wurden abweichende Erklärungswerte gespeichert. Der Fall wird daher als risikobehaftet gezählt.

Fall ist "risikobehaftet"

  • RHW 5401: Es handelt sich um eine Zusammenveranlagung. Im Vorjahr erfolgte eine Einzelveranlagung bzw. getrennte Veranlagung. Der Risikofilter kann keine zutreffenden Vorjahresvergleiche durchführen. Der Fall ist personell zu prüfen. Ggf. unter einer anderen Steuernummer festgesetzte Vorauszahlungen sind umzubuchen.“

Grobe Schnitzer der Finanzbeamtin

Den Prüf-Hinweis versah die Sachbearbeiterin des Finanzamts mit dem handschriftlichen Vermerk „EM=Eink. § 18 EStG” und die Risiko-Hinweise jeweils mit einem handschriftlichen Haken. Ferner trugen die Sachbearbeiterin sowie der zuständige Sachgebietsleiter in der „Anlage Finanzamtsdaten” geänderte Werte zu den Vorsorgeaufwendungen ein. Dadurch wurden die selbständigen Einkünfte des Mannes nicht besteuert.

Bei so deutlichen Prüf-Hinweisen hätte die Sachbearbeiterin des FA zwingend einen Abgleich zwischen erklärten und eingescannten Einkünften vornehmen müssen, so der BFH. Dass sie das unterlassen hat, ist als unzureichende Sachverhaltsaufklärung zu würdigen, die eine Berichtigung des bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheids nach § 129 AO ausschließt. Das Ehepaar muss die 128.641 € Gewinn des Mannes jetzt endgültig nicht versteuern.

Fazit: Finanzbeamte können sich Fehler leisten (mehr jedenfalls als Steuerzahler) – aber nicht alle dürfen revidiert werden.

Urteil: BFH, VIII R 4/17

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