Die EZB wird in ihrer inzwischen angelaufenen Bilanzprüfung nicht den tatsächlichen Kapitalbedarf des Bankensektors ermitteln. Der Grund: Die Refinanzierungskosten wären schlicht zu hoch, um ohne eine weitere Verschärfung der Finanz- und Schuldenkrise gestemmt werden zu können. Dieses Risiko will die EZB nicht eingehen. Der tatsächliche Kapitalbedarf dürfte zwischen 509 und 767 Mrd. Euro liegen. Das jedenfalls meinen Viral Acharya von der New Yorker Stern School of Business und Sascha Steffen von der European School of Management and Technology in Berlin. Die beiden Wissenschaftler haben die öffentlich verfügbaren Bilanzdaten von 109 Banken ausgewertet und sie verschiedenen Stresstest-Szenarien unterworfen. Ergebnis: Der Kapitalbedarf wäre zu hoch, als dass er ohne weitere staatliche Hilfen geschultert werden könnte. Acharya und Steffen gehen davon aus, dass Banken in Belgien, Zypern und Griechenland bei konsequentem Stresstest durch Steuergelder gerettet werden müssten. Die größten absoluten Kapitallücken prognostizieren sie im französischen und deutschen Bankensektor. Auch in den beiden größten Euro-Volkswirtschaften wären staatliche Rettungsmaßnahmen somit höchst wahrscheinlich. Daher wird die EZB nur den Kapitalbedarf ermitteln, der gerade noch zu verkraften ist, ohne dass das gesamte System zusammenbricht (FB vom 9.12.2013). Wie hoch die „Ziel-Lücken“ dann am Ende sein werden, ist heute noch nicht absehbar. Die Zentralbank veröffentlicht erst in den kommenden Wochen ihre endgültigen Stresstest-Anforderungen. Klar ist jetzt schon: Die EZB wird ihre Hauptziele nur bedingt erreichen. Die Bilanzprüfung wird nicht für die tatsächlich benötigte Radikalkur des Bankensektors sorgen. Außerdem wird die Glaubwürdigkeit der EZB als unabhängiger Institution nicht gestärkt. Die Zentralbank dürfte in der Bankenbranche bald als „würdige“ Nachfolgerin der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) wahrgenommen werden: Die EBA hatte ihren Ruf nach zwei viel zu laschen Stresstests nachhaltig ramponiert.
Fazit: Die Zentralbank steckt in der EBA-Falle: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die EZB wird also nach bekanntem Muster langfristige Nachteile für kurzfristige Vorteile in Kauf nehmen. Nachhaltig gesunden wird der Euro-Bankensektor auf diese Art definitiv nicht.