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Standortbestimmung Deutschland

Gepflegtes Mittelmaß auf Jahre hinaus

Deutsche Flagge vor dem Reichstagsgebäude. © arsenisspyros / Getty Images / iStock
Ist Deutschland nach 20 Jahren Aufschwung wieder der „kranke Mann Europas“, wie auch internationale Medien fragen? Klare Antwort: Nein, das ist er nicht. Wo Deutschland am stärksten ist, was das Land jetzt braucht, warum der China-Faktor überschätzt wird und wann die Konjunktur wieder anspringt – darauf gibt der Artikel Antworten.

Nicht mehr an der Spitze des europäischen Zuges, aber auch weit davon entfernt, die rote Laterne zu tragen oder gar abgehängt zu werden – da steht Deutschland als Wirtschaftsstandort aktuell. Das Land als Ganzes sitzt noch im Speisewagen, wo man es sich im zurückliegenden Goldenen Jahrzehnt bequem gemacht hatte. Die Tische werden langsam abgeräumt und die Regierung lässt sich auf dem Weg ins Führerhaus zu viel Zeit, verirrt sich ständig in den Abteilen. Vor allem muss der deutsche Zug mal ordentlich gewartet werden, dann lässt es sich damit einigermaßen wohlbehalten in die Zukunft fahren. So sieht – bildlich gesprochen – die Standortbestimmung von Berenberg Chefvolkswirt Holger Schmieding für den Standort Deutschland aus. FUCHSBRIEFE können sich dem – größtenteils – anschließen. Aber wir haben auch eine Reihe an Gegenanzeigen.

Die Konjunktur kommt im nächsten Frühjahr wieder ans Laufen

Aktuell habe Deutschland vor allem konjunkturell Probleme. Die weltweite Schwäche der Industrie – in den USA steckt das produzierende Gewerbe bereits in der Rezession –, die geringe Nachfrage Chinas, der belastende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der auch Russland als Fertigungs- und Absatzmarkt „abgeschossen“ hat, dazu die exorbitant hohen Energiepreise und vor allem die Unsicherheit über deren künftigen Entwicklung – das alles lasse Deutschlands Wirtschaft derzeit ausgesprochen schlecht aussehen.

Dennoch: Das Fundament sei fest. Bereits im kommenden Frühjahr erwartet Schmieding ein Wiederaufblühen der deutschen Konjunktur, angeschoben von der „Rückkehr“ der US-Wirtschaft. Kurz: Konjunkturell haben wir das Schlimmste schon fast überstanden.

Die Regierung handelt – nur nicht immer sinnvoll

Schmieding hatte Ende der 1980er Jahre das Bonmot von Deutschland als krankem Mann Europas geprägt. Davon könne aber heute keine Rede sein. Dieser Mann hat nur viel Fett angesetzt, krank ist er nicht. Auch die Regierung sei nicht so schlecht, wie sie in der Öffentlichkeit dastünde. Dies sei vor allem eine Folge miserabler Kommunikation. Der wirtschaftsliberale Schmieding, der der österreichischen Schule in der Ökonomie nahesteht, attestiert der Ampel, dass sie durchaus verstanden habe, dass sie handeln müsse. Nicht immer kämen dabei allerdings die richtigen Maßnahmen heraus. So sei ein Industriestrompreis als Dauer-Subventionierung die falsche Medizin, vor allem da sie den Mittelstand benachteilige.

Der flexible Mittelstand ist das große Asset Deutschlands

Der enorm anpassungsfähige deutsche Mittelstand, die Hidden Champions – das sei der der eigentliche Garant für Deutschlands Wohlstand. „Unternehmer, die nachts darüber nachdenken, in welcher Nische mit welcher Idee sie morgen Geld verdienen können“, sei Deutschlands stärkstes Asset, das Alleinstellungsmerkmal des Standorts, so Schmieding. Denn das schafft Jobs. Und diese Jobmaschine zieht weiterhin gut ausgebildete Arbeitskräfte aus aller Herren Länder, insbesondere Osteuropa, an. Seit 2017 wachse trotz der geringen Geburtenrate die Beschäftigung jährlich um 6,6%.

Der Mittelstand müsse von Bürokratielasten und zu hohen Energiekosten entlastet werden und insbesondere müsse Sicherheit über die künftige Energiepolitik her – das sei fastdie halbe Miete bei der Sanierung des Standorts. Dem flexiblen Mittelstand würden auch erweiterte Möglichkeiten für Verlustvorträge helfen – die gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten dann die Finanzlage der Unternehmen verbessern helfen und Abschwünge abdämpfen können.

Das große Problem: ineffektive Verwaltung, zu lange Prozesse

Für den „Rest“ zur Rückgewinnung einer sportlichen Konstitution sei eine effektiv und effizient arbeitende Verwaltung nötig, kurze Prozesse bei Planungs- und Genehmigungsverfahren, steuerliche Anreize für längere Arbeitsbiografien (Einkommen Steuerfreiheit für Arbeitseinkommen nach gesetzlichem Renteneintritt).

Der amerikanische „Inflation Reduction Act“ – ein gewaltiges Industriesubventionierungsprogramm analog zum vorangegangenen europäischen Next Generation EU-Programm – wirke weniger wegen seiner Anreize, sondern weil die Industrie dort schneller an die versprochenen Zuschüsse kommt. Mehr vom Gleichen, also noch höhere Förderung bei weiterhin schlafmützigen Prozessen bringe da nichts.

Blühender Arbeitsmarkt und keine Ende in Sicht

Eines der Hauptargumente von Schmieding für die Situation am Standort D ist der Arbeitsmarkt. Anders als zum Ende der Ära Kohl sei er nicht anämisch, sondern ausgesprochen vital. Überhaupt sei es Deutschland sehr gut gelungen, sein Arbeitskräftereservoir zu mobilisieren. Das habe die öffentlichen Kassen gefüllt und einen Wohlstandsschub zur Folge gehabt. Am Standort "sorgen" rund 33,5 Mio. Beschäftigte für gut bestückte öffentliche Kassen und 43% der Bevölkerung haben einen steuerpflichtigen Job – vor 20 Jahren waren es gerade etwas über 26 Mio. (32% der Bevölkerung). Damit ließe sich auch der schwierigen demografischen Entwicklung entgegenwirken.

Auch finanziell stehe Deutschland im G-7-Vergleich sehr gut da. Die Finanzlage gebe Spielraum für Investitionen. Man muss sich allerdings klar werden, was eine Investition überhaupt ist. Ein weiterer Ausbau des ohnehin üppig ausgestatteten Sozialstaats – Stichwort Kindergrundsicherung (das Schmieding allerdings nicht in den Mund nimmt) – sei es nicht. Im Gegenteil: Hier seien gewaltige Fehler gemacht worden, vor allem die von der jetzigen Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles (SPD) forcierte Rente mit 63, die jetzt nachwirken. Nebenbei: Dass ausgerechnet Nahles jetzt ein Ende von Frühverrentungen in Konzernen fordert, ist einer der vielen Treppenwitze, zu denen Sozialdemokraten fähig sind.

China-Faktor: Weniger bedeutend als dargestellt

Überschätzt werde der China-Faktor. Geprägt wird die Diskussion von der bedeutenden deutschen Auto- und Chemieindustrie, die derzeit mit Wettbewerbsproblemen in China zu kämpfen hat. Autos machen 19% der deutschen Exporte nach China aus. Dennoch: Deutschland exportierte im 2. Quartal 7,2% seiner Waren nach China, Frankreich 7,4%, die USA 10%. Zusammengenommen können die osteuropäischen Märkte mit Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn – ohne Russland – das „Exportloch“ künftig gut ausfüllen. Man solle China natürlich nicht als Exportmarkt abschreiben, aber zum Motor werde es nicht mehr. Dem stünden schon erhebliche inländische Probleme wie die exzessive Kreditvergabe und das chinesische Alterungsproblem entgegen.

Frankreich ist derzeit sportlicher unterwegs. Macrons angestoßene Reformen wirken. Vor allem demografisch hat es Frankreich geschafft, die Fertilitätsrate mit 1,84 (Deutschland 1,5) beinahe auf „Erhaltungsniveau“ zu bringen. Dennoch ist das Fundament dort dünner.

Einige Punkte übergangen

Die datenbasierte Analyse ist in sich stimmig. Aber sie „übersieht“ einige, noch nicht angesprochene Warnzeichen. 

  • Da ist die stark rückläufige Produktivität. Der Zuwachs lag bis in die 1970er Jahre hinein bei 2% jährlich, jetzt ist es gerade noch ein halbes Prozent.
  • Falls noch eine Rentenreform kommt, kommt sie zu spät. Das große Reservoir der Babyboomer hat sich mental auf die Rente eingestellt. Sie wird man nicht mit Steuererleichterungen für ein Zubrot auf der Arbeitsstelle halten. Schon die ständigen Konflikte mit woken Kollegen und die Daueranfrage nach Vertretungsbereitschaft für den Kollegen / die Kollegin in Elternzeit und der zunehmende Bürokratieaufwand bis hin zur Überforderung durch fortschreitende Digitalisierung und Regularisierung machen vielen nicht „Lust auf mehr“.

Leistung lohnt nicht mehr (so richtig)

  • Die Zuwanderung aus der EU einschließlich Osteuropa kommt notwendigerweise zum Versiegen. Die Zuwanderer aus ferneren Ländern bringen vielfach nicht die notwendigen Ausbildungsvoraussetzungen mit.
  • Im Bildungssystem wird fortwährend rumexperimentiert. "Leistungsdruck rausnehmen" ist das Motto der Stunde – aber nicht das Gebot. Standards werden permanent abgesenkt, um jeden mitzunehmen. Die schwächsten Glieder in der gesellschaftlichen Kette geben das tempo vor. Das ist moralisch vorbildlich, aber der Wettbewerbsfähigkeit abträglich.
  • Generell drängt sich der Eindruck auf, dass nicht Leistung belohnt wird, sondern Bedürftigkeit. Der Mittelstand hat keine Lobby, die auch durchdringt in Politik und Gesellschaft. Ihm aber werden die vielen Erleichterungen zugunsten anderer Gesellschaftsmitglieder permanent aufgeladen.


Fazit: Deutschland wird so schnell nicht wieder zu einer Spitzenposition in Europa (und der Welt) aufsteigen. Vorher muss das Land eine Weile in den Kraftraum, Muskeln ausbilden und Fett abbauen. Gepflegtes Mittelmaß ist die Aussicht für die nächsten Jahre.

Empfehlung: Lesen Sie online die ausführliche Analyse.

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