Die Gewaltenteilung in Deutschland zeigt in der Affäre netzpolitik.org gewaltige und gefährliche Schwächen. Im Mittelpunkt steht die vordemokratische – aus Zeiten der preußischen Verfassung stammende und bspw. in Großbritannien unbekannte – Weisungsbefugnis der Ministerien in Bund und Ländern gegenüber den Staatsanwaltschaften. Sie ist der Hebel einer zunehmend von Shitstorms und Affekthascherei geprägten „Öffentlichkeit“, um Recht beugen zu lassen.
Die Möglichkeit des Justizministers, dem Generalbundesanwalt Weisungen zu erteilen, ist der Dollpunkt. Der Europarat hat diese Befugnis erst im Januar gerügt. Ohne sie wäre die öffentliche Empörung ins Leere gelaufen. Die Politik aber zeigt sich zunehmend widerstandsunfähig gegen solcherart Empörungswellen. Deshalb ist sie ein beliebter Angriffspunkt. Insbesondere die linke Öffentlichkeit beherrscht den Umgang damit aus dem Effeff. In diesem Fall führt sie eine ihrer schärfsten Waffen ins Spiel: die Pressefreiheit. Doch die Berufsbezeichnung Journalist ist nicht geschützt. Deshalb dürfen sich die Blogger von netzpolitik.org einfach dazurechnen. Schon haben sie die Berufskollegen mit großer Mehrheit hinter sich. Dann ist auch die Politik – wie erlebt – schnell „auf Linie“.
Justizminister Heiko Maas (SPD) hat im Affekt gehandelt. Er hat den Generalbundesanwalt entlassen, weil der einer Strafanzeige des obersten Verfassungsschützers Hans-Georg Maaßen wegen Landesverrats durch netzpolitik.org nachgehen wollte. Das hat eine Empörungswelle vor allem in den Online-Medien hervorgerufen. Diese müssen sich besonders schnell ein Urteil bilden, bestimmen dann aber oft die Diskussion.
Das Vorgehen der Politik mag einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit sympathisch erscheinen, es ist aber gefährlich. Denn es höhlt die rechtlichen Grundlagen des Staates aus. Landesverrat ist ein schweres juristisches Delikt. Gerade hier müsste die Justiz unabhängig prüfen können. Das konnte sie nicht. Gegen Justizminister Heiko Maas laufen Strafanzeigen wegen Strafvereitelung im Amt. Doch zuständige Staatsanwälte sagen hinter vorgehaltener Hand: Das wird eingestellt.
Fazit: Diese Entwicklung hat Folgen. Positionen wie die des Bundesanwalts werden in solcher Konstellation nur noch Personen bekleiden, die vorauseilenden Gehorsam an den Tag legen. Blogs und Blogger werden sich bestärkt fühlen, alles und jedes aufzudecken, was den Aufdruck „geheim“ trägt. Das kann zunehmend auch Unternehmen treffen.