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Der Staat als Serviceagentur

Die Lust auf Leistung schwindet, das Anspruchsdenken wächst

Frau liegt in einer Hängematte und liest ein Buch. © SolStock / Getty Images / iStock
Deutschland hat sich im Wohlstand eingerichtet und ist immer noch dabei, sein Kapital zu verfrühstücken. Obwohl die Regierung immer höhere Schuldenberge auftürmt, wird das frisch geschaffene Geld vor allem zur Finanzierung einer Gesellschaft ausgegeben, die den Staat als vermeintlich kostenlosen Dienstleister ansieht.

Die Deutschen bauen ihren Staat zur Serviceagentur um- und aus. Die Lust auf Leistung weicht der Work-Life-Balance. Persönlich Verantwortung zu übernehmen ist immer weniger gefragt, vor allem wenn sie mit einem Verlust an Bequemlichkeit verbunden ist.

Unternehmer finden in der eigenen Familie immer seltener den Nachfolger. Grund seien „die hohen Arbeitsbelastungen und die hohe Verantwortung in einem oft schwierigen Marktumfeld“, stellte die KfW jüngst in einer Studie fest. Vor allem Männer nehmen immer häufiger von der Familiengründung Abstand, trotz der noch recht jungen Möglichkeit zum Erziehungsurlaub. Mit Folgen für die Gesellschaft: Lag der Anteil an „Lebensformen ohne Kinder“ 1991 bei 62,2%, waren es 2016 laut Mikrozensus 72,4%. Wir dürfen auf die neuen Zahlen gespannt sein.

Die Vier-Tage-Woche ist plötzlich wieder en vogue

Obwohl fast täglich vom Fachkräftemangel zu lesen ist, ist die Vier-Tage-Woche (bei vollem Lohnausgleich) plötzlich wieder en vogue. Vor allem die (dummen?) alten, weißen Männer frönen noch einer Leistungskultur, die sich in Arbeitsstunden misst. Generell gilt: „Je älter die Erwerbstätigen, desto länger die Arbeitszeiten“, vermerkten vor wenigen Tagen die Statistiker des zuständigen Bundesamtes. Während im vergangenen Jahr 1,6% der Vollzeiterwerbstätigen im Alter von 15 bis 24 Jahren mehr als 48 Stunden pro Woche ihrem Job nachgingen, liegt dieser Anteil bei den 55-bis 64-Jährigen bei 11,4%. Männer weisen mit 10,5% deutlich häufiger überlange Arbeitszeiten auf als Frauen (5,4%).

Nun mag es sein, dass ein Mensch nicht 60 oder gar 80 Stunden wirklich hoch produktiv arbeiten kann. Genauso irrig ist aber die Annahme, dass sich in 25 Stunden dieselbe Arbeit tun lässt wie in 40 bzw. und die Hilfsmittel der Automatisierung und Digitalisierung die Produktivitätslücke füllen. Das wird eines schönes Tages vielleicht einmal möglich sein. Tatsächlich entfernen wir uns in der Realität von diesem Wunschbild.

Die Produktivität hält nicht Schritt

In Deutschland war das Wachstum der Arbeitsproduktivität, gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Arbeitsstunde, im Zeitraum von 1990 bis 2015 in der Tendenz zwar positiv. Die Zuwachsraten schwächten sich jedoch in diesem Zeitraum deutlich ab, stellte das BMF schon in seinem Monatsbericht im Oktober 2017 fest. Wurden Anfang der 1990er Jahre – aufgrund des Booms nach der deutschen Einheit – noch relativ hohe Raten von deutlich über 2% verzeichnet, so stieg die Arbeitsproduktivität in den vergangenen Jahren nur noch mit rund 0,6%, heißt es da. Ein Trend der sich auch danach fortsetzte. Im Vor-Coronajahr 2019 lag der Produktivitätszuwachs bei gerade noch 0,1%.

Die Erfüllungslücke weitet sich und wird gefüllt mit Staatsschulden

Die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Anspruchsdenken und Erfüllungsbereitschaft wird immer größer. Wenn der Einzelne viel fordert, aber nicht entsprechend leistet, muss der Staat einspringen, wenn es sich seine Vertreter nicht bei den nächsten Wahlen mit dem Publikum verscherzen wollen. Unmittelbare Folge dieser Wünsch-dir-was-da-hab-ich-Anspruch-drauf-Haltung ist die Staatsquote. Sie liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mittlerweile bei rekordhohen 51,1%. Das heißt: Mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes beansprucht der Staat für sich und verteilt sie um. Auch Steuerquote und Abgabenquote erreichen bereits im Sommer 2021 mit 24,4% und 42,2% historische Spitzenwerte.

Die "fossile" Wohlstandsfinanzierung

Dummerweise lässt sich Wohlstand nur über Arbeitsleistung nachhaltig finanzieren. Doch der klimabewegte und nachhaltig ökologisch orientierte Mensch des Jahres 2022 setzt bei der Finanzierung seines Wohlstands auf eine fossile, endliche Energie: Staatsschulden. So wie sich noch reichlich Öl und Gas aus der Erde pumpen lassen, so lassen sich auch die Märkte noch geduldig anzapfen. Doch so sicher und so nah wie das Klima eines unschönen Tages kollabieren mag, vorher werden es die Staatshaushalte.

Denn das geschöpfte Geld wird für vornehmlich zur Finanzierung des Wohlstandsniveaus ausgegeben. Die Investitionsquote liegt nach einer Schwächephase in den Nullerjahren auch jetzt mit 22,65% vom BIP nur im europäischen Durchschnitt und deutlich hinter Österreich (27,6%), Belgien (26,3%), Schweden (25,6%) Frankreich (25,4%), Norwegen (25,2%) oder der Schweiz (23,6%). Dass konsumtive Geldschöpfung nicht ungestraft geschieht, lernen wir gerade schmerzlich an der historisch hohen Geldentwertung. Am Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit ging übrigens der sozialistische Block unter Führung der Sowjetunion zugrunde.

Winkelzüge zur Schuldenausweitung

Mit immer neuen Winkelzügen täuschen die staatlichen Organe über die wachsende Kluft zwischen Anspruch und Möglichkeiten hinweg. Der jüngste Bericht des Bundesrechnungshof, der die zahllosen Umgehungstatbestände des liberalen Finanzministers Christian Lindner auflistet, liest sich wie eine Anklageschrift gegen den Service-Schulden-Staat. Der Bund verlagert Schulden in Sondervermögen, die Schuldenbremse fällt immer wieder einer Krise zum Opfer – Finanzkrise, Corona, Ukrainekrieg – und man darf sicher sein: Die nächste Krise ist schon da, sie hat nur noch keinen Namen. Der Staat muss sich immer neue Krisen schaffen, um die selbst gesetzten Regeln wieder außer Kraft setzen zu können.

Brüssel schafft die nächste Verschuldungsebene

Wo das noch nicht reicht, tritt inzwischen Brüssel auf den Plan. Die Dimension dessen, was da 2020 im Zuge der Corona-Krise über die ersten Gemeinschaftsanleihen aus Brüssel aus der Taufe gehoben wurde, ist vielen überhaupt nicht klar. Alles mit Billigung der Kanzlerin Angela Merkel („wird es nicht geben, solange ich lebe“) und auch des Bundesverfassungsgerichts, das immer häufiger den Eindruck macht, als säßen dort Advokaten, die sich vor allem abmühen, der Politik Rückendeckung zu verschaffen.

Eine weitere Verschuldungsebene hat damit das Licht der Welt erblickt. Das ist so, als würden Sie ihr Haus für verschiedene Banken zum dreifachen Wert mit Hypotheken belegen können. Doch selbst das reicht noch nicht. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, finanziert zusätzlich die EZB klammen Staaten wie Italien, die schon lange weit über ihre Verhältnisse leben, den Haushalt durch regelmäßigen Ankauf neuer Schuldscheine. Auch das mit letztendlicher Billigung des Bundesverfassungsgerichts.

Fazit: Deutschland befindet sich in einem Tugendwandel. Fleiß, Ordnung, Organisationsfähigkeit, Genauigkeit – „Sekundärtugenden“ der Nachkriegszeit – machen schon seit einiger Zeit, aber jetzt verstärkt einer eher hedonisch ausgerichteten Lebensweise Platz. Die prägt die Gesellschaft auf eine für viele sympathischere Weise. Nachhaltig ist sie nicht.
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