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Interview mit dem Bundestagsabgeordneten und IT-Experten Dr. Volker Redder

Digitalisierung: "Wir brauchen einen grundlegend anderen und zentraleren Ansatz"

Bundestagsabgeordneter und Digitalisierungsexperte Dr. Volker Redder. © Büro Volker Redder
Der Megatrend Digitalisierung gehört unzweifelhaft zu den großen Zukunftsthemen unserer Zeit. Ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten und IT-Experten Dr. Volker Redder über eigensinnige Verwaltungen, schrumpfende Fördertöpfe und die "Macht des Faktischen".

FUCHSBRIEFE (FB): Herr Redder, was ist Ihrer Ansicht nach das Ziel von Digitalpolitik?

Volker Redder (VR): Das Ziel von Digitalpolitik ist es, das Leben der Menschen einfacher zu machen. Das gilt vor allem im Zusammenhang mit Verwaltungsaktivitäten, aber auch in Bezug auf die Wirtschaft. Es geht um eine einfachere, schnellere und fehlerfreiere Kommunikation. In Zeiten, in denen fast jeder ein Smartphone besitzt, muss der Mensch im Idealfall nur lesen, schreiben und eine Taste drücken können – der Rest sollte selbsterklärend sein. Man muss keinen Kurs mehr belegen, um zu wissen, wie die Technik funktioniert – das ist das Ideal. Außerdem muss es das Ziel sein, dass wir Bürgerinnen und Bürger vollständige Transparenz und Kontrolle über die Daten haben, die der Staat von uns sammelt.

FB: Das große „Digitalisierungsprojekt“ der öffentlichen Verwaltung heißt „Onlinezugangsgesetz“ (OZG). Die Umsetzung läuft, gelinde gesagt, „schleppend“.

VR: (lacht) Schleppend? In der Tat: Die Optimisten geben den Umsetzungsstand von den 575 zu digitalisierenden Fachverfahren bei 15 % an, die Pessimisten – zu denen ich gehöre – sprechen von 8 %.

"Das größte Hemmnis liegt im föderalen System"

FB: Und woran liegt das?

VR: Das Problem ist tieferliegend. Es liegt nicht daran, dass wir zu viele Verfahren haben oder es technisch zu anspruchsvoll wäre – das Ganze ist sogar eher trivial. Das größte Hemmnis liegt im föderalen System der Bundesrepublik. Über 10.000 Kommunen, 16 Bundesländer und alle arbeiten mit individueller Software. Die Interoperabilität der Daten ist schlichtweg nicht gegeben. Ein weiteres Problem ist auch, dass wir vielerorts Systeme haben, die über 20 Jahre alt sind. Da hat irgendwann mal ein Beamter gesagt „das mach ich dir mal eben schnell in Access“ und das läuft seitdem. Und bei vielen gilt noch der Grundsatz „never change a running system“. Schließlich gibt es noch ein „Wimmelbild“ an Gremien, Akteuren, Behörden und Instituten, die alle zu dem Thema konsultiert werden müssen.

Das ist ein Problem, das wir so niemals zu 100 % lösen können. Wir werden es maximal zu 90 % näherungsweise erreichen. Außer wir erleben eine große Disruption – aber so, wie es aktuell geschieht, wird es nicht funktionieren.

FB: Okay, aber immerhin 90%. Wann schaffen wir die denn?

VR: Wenn wir so weiter machen wie bisher, werden wir nie fertig, wenn man ehrlich ist. Wir brauchen einen grundlegend anderen und zentraleren Ansatz. Zur Geschichte gehört auch, dass sich der Bund, wenn es weiter wie bisher läuft, die Zustimmung der Bundesländer wahrscheinlich erkaufen muss. Es wäre einfacher, wenn wir ein großer Konzern wären mit 16 Filialen und alle haben ihre individuell angepasste Software. Da ordnet die Zentrale ein neues Basissystem an und das wird dann umgesetzt. So müsste es eigentlich auch im Bund laufen, wenn man Digitalisierung ernsthaft umsetzen will.

Aber faktisch sucht sich jede Verwaltung ihre eigenen Anwendungen aus einem Pool heraus. Und dann kommt man einfach nicht zusammen, sei es auch Empfindlichkeiten, politischen Vorbehalten, Partikularinteressen usw., weil der eine meint, er könnte es sowieso besser und der andere auf seinem System beharrt, weil das ja schon lange erprobt sei. Das wird nur mit entsprechenden Fördermitteln zu lösen sein – und das wird teuer, das können Sie sich vorstellen. Das wird diskutiert, aber wir sind noch nicht so weit – wir kennen auch noch nicht alle Kosten. Wir wissen es bisher einigermaßen genau für den Bereich der Finanzverwaltung: Da werden etwa 2 Mrd. Euro benötigt, eine komplette Digitalisierung bundesweit umzusetzen. Der Bereich ist aber auch vergleichsweise einfach im Verhältnis zu anderen Bereichen, etwa dem Baurecht.

FB: Digitalisierungs-Vorreiter in Europa ist Estland. Was können wir von den Esten übernehmen?

VR: Die Idee, die ja von manchen geäußert wird, ist, dass wir Estland kopieren sollten. Das ist natürlich naiv. Um zum Beispiel eine digitale ID für alle Bürgerinnen und Bürger zu bekommen, hat Estland einfach mit einer schwedischen Bank zusammengearbeitet. Undenkbar, was hier los wäre, wenn wir sagen „Wir überlassen das der Deutschen Bank“. Und am Ende haben die Esten auch eine andere Denkweise: Da wird Datenschutz anders gehandhabt als bei uns – völlige Transparenz und hohe Strafen bei Missbrauch. Diesen Wechsel bekommen Sie bei uns nicht hin. Zudem: In Estland wohnen 1,3 Mio. Menschen, das sind 500.000 weniger als Hamburg. Das macht es natürlich einfacher.

"FDOs können der Gamechanger sein"

FB: In Ordnung – keine estnische Lösung. Und wie bekommen wir es dann hin? Woher soll der disruptive Wandel kommen?

VR: Die gesamte Flickschusterei im föderalen System bekommen wir nicht zusammen. Wir brauchen deshalb eine übergeordnete Infrastruktur, die alle gleichermaßen beliefert. Und im Sinne eines souveränen Staates, darf die auch nicht von Microsoft oder SAP kommen, sondern muss eigenständig programmiert werden.

Wir reden daher in der Koalition mittlerweile über so genannte FAIR Digital Objects (FDO). Das ist ein Datenmodellkonstrukt, das dazu führt, dass das System selbst dazulernt. Da steckt ein bisschen KI mit drin; auf der äußeren Hülle des Datenmodells werden Metatags vergeben, so dass Datensysteme einfacher miteinander kommunizieren können - die aufwändige Schnittstellenprogrammierung, die für die Dateninteroperabilität sorgt, wird dadurch dramatisch reduziert. Die Helmholtz-Gemeinschaft forscht daran seit mittlerweile sechs Jahren. Eine derart übergeordnete Plattform, die es ermöglicht, dass die vielen verschiedenen Systeme untereinander kommunizieren, kann ein Gamechanger sein. Damit werden wir den Aufwand bei der OZG-Umsetzung deutlich reduzieren. Ich schätze konservativ um mindestens 20 %, Helmholtz ist da weit optimistischer und spricht inzwischen von bis zu 80 % Einsparpotenzial.

FB: Wie viel Zukunftsmusik steckt darin? In welchem Zeitraum können wir das umsetzen?

VR: Die Idee ist, dass wir im nächsten Haushalt einen Posten schaffen, um ein FDO-Projekt zu initiieren. Und wir werden zwei Universitäten beauftragen, die auch schon Erfahrung mit KI und Datenmodellen haben, in Konkurrenz einmal mit FDO und einmal ohne FDO zu entwickeln. Als Gegenstand haben wir uns dafür einen Teilbereich des Baurechts herausgepickt. Die Ergebnisse werden dann als technische Leitplanken im OZG 2.0 aufgenommen. Da reden wir auch nicht von Jahren, sondern eher von sechs Monaten, um dieses Projekt durchzuziehen.

"Da hat sich der Arbeitsminister schlicht verweigert"

FB: Wechseln wir das Thema. Arbeitsverträge sind seit dem 1.8.2022 nicht mehr mit Online-Signatur gültig. Bringt der Digitalminister Volker Wissing (FDP) nicht genügend Gewicht auf die Waage, oder hat er das Thema übersehen?

VR: Da hat sich der Arbeitsminister Hubertus Heil schlicht verweigert. Die Gewerkschaften haben ihn an der Stelle unter Druck gesetzt. Und dem konnte sich Volker Wissing nicht erwehren. Sie müssen aber auch sehen: Der 24.2., der Angriff Russlands auf die Ukraine, das hat uns umgehauen. Wir sind dadurch voll aus dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Zeitplan geworfen worden. Wir haben so viele Seitenhiebe – Energiekrise, Inflation – da sind Arbeitsverträge auch nicht das am meisten beachtete Thema.

FB: Aus Sicht des IT-Unternehmers Redder: Was erwarten Unternehmen von der Politik hinsichtlich einer Digitalisierungsstrategie?

VR: Verlässlichkeit! (lacht). Die Unternehmer wollen nicht, dass sie noch mehr Daten erfassen müssen, noch mehr Auskünfte, noch mehr Formulare… Das muss alles automatisch passieren. Es kommen immer wieder neue Steine vor die Füße. Das brauchen wir nicht. Die Unternehmer möchten logischerweise am liebsten in Ruhe gelassen werden, um Zeit zu haben, ihr Unternehmen zu entwickeln.

FB: Und was sie sicherlich auch gerne sehen, sind Fördermittel für Digitalisierungsprojekte. Nun ist die Haushaltslage angespannt. Müssen sich Unternehmen auf kleinere Töpfe einstellen?

VR: Ja, das ist so. Wie viel kleiner, weiß noch niemand so recht, da müssen wir den nächsten Haushalt abwarten. Sie können aber davon ausgehen, dass alle Ressorts sparen müssen. Diese Zeiten, in denen wir „mal eben“ 30 Mrd. Euro ausgeben konnten, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, die sind, denke ich, vorbei. Darauf sollten sich auch die Unternehmen einstellen. Tatsächlich gibt es ja gerade Jungunternehmer, die denken, sie gründen ein Unternehmen und dann gibt es Geld vom Staat. So funktioniert es aber nicht. Ich bin Unternehmer, weil ich eine Idee habe und aus der Wertschöpfung meines Geschäftsmodells mein Unternehmen entwickle. Man kann natürlich über private Investoren und staatliche Hilfen das Geschäft ausbauen. Aber das ist nicht der vorrangige Weg. Diese Denkweise kommt allerdings in der Tat bei jungen Gründern immer mehr abhanden.

Und wenn wir an die Schwarze Null denken, dann macht das ja auch Sinn. Wir reden bei Nachhaltigkeit viel über Klima – aber wir müssen auch finanziell nachhaltig handeln. Wir können nicht alles freigiebig ausgeben und sagen „Ja, das zahlen dann irgendwann die Enkel oder Urenkel zurück.“

FB: Sehen das alle Koalitionspartner so?

VR: Natürlich nicht! Das wissen Sie doch, gar keine Frage. Aber wir haben nicht ohne Grund eine so hohe Inflation. Das kommt auch daher, dass wir über zwei Jahre jede Woche Milliarden „gedruckt“ haben, um die Folgen der Pandemie zu kompensieren. Dass das eine Geldentwertung und damit eine Inflation befördert, kann man sich an drei Fingern abzählen.

Digitalisierung über die "Macht des Faktischen"

FB: Zahlen der KfW und anderer zeigen, dass gerade KMU große Probleme bei der Digitalisierung haben. Sehen Sie Möglichkeiten, hier besser zu unterstützen?

VR: Das geschieht am Ende über die Macht des Faktischen. Als Beispiel: Wenn eine E-Rechnung per Gesetz verpflichtend durchgesetzt wird, dann muss ich mich als KMU damit beschäftigen, dann kann ich nicht mehr mit Papier ankommen. Das ist vermutlich der Weg, den es gehen wird. Und es gilt auch zu beachten, dass nicht alle Zahlen so frappierend schlecht sind wie die der KfW. Bei einer Umfrage des Verbands der Familienunternehmer kam heraus, dass mehr als 75 % sich bereits digitalisiert haben. Selbst viele mittelständische Handwerksbetriebe digitalisieren, zum Beispiel ihr Rechnungswesen oder Stundenmanagement, weil sie einfach die Vorteile erkannt haben.

FB: Digitalisierung per Gesetz ist aber nicht sonderlich marktwirtschaftlich, oder?

VR: Ja, was heißt sonderlich marktwirtschaftlich? Die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft ist der Ordoliberalismus, deren Kern ein rechtlicher Rahmen ist, an dem sich alle Marktteilnehmer zu halten haben. Die E-Rechnung sichert den rechtlichen Rahmen und vermeidet geschätzte 40 Mrd. Euro Umsatzsteuerbetrug. Auch das ist Marktwirtschaft.

Zur Person Dr. Volker Redder: Der 1959 geborene Bremer, sitzt seit 2021 als Abgeordneter für die FDP im Deutschen Bundestag. Dort ist der IT-Unternehmer Obmann im Ausschuss für Digitales. Seit 2020 ist er zudem Landesvorsitzender der Familienunternehmer Bremen.

Das Gespräch führte auf Seiten der FUCHSBRIEFE Philipp Heinrich; Fragen von Philipp Heinrich, Marcus Johann, Mona Samtleben und Ralf Vielhaber

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