Klimaschutz wird zur EU-Zerreißprobe
Die EU läuft auf eine Zerreißprobe beim Klimaschutz zu. Einerseits hat sie große Ziele, verabschiedet unzählige Gesetzespakete und ermöglicht gigantische Investitionen. Gerade gestern (Mittwoch) hat die EU-Kommission ihre EU-Taxonomie für Investitionen in nachhaltige Energien verabschiedet. Mit dabei natürlich auch Atomkraft.
Trotz des europäischen Green Deals, üppiger Finanzierungen und politischer Rückendeckung werden die EU-Mitgliedsstaaten reihenweise die EU-Klimaziele verfehlen. Die Gretchenfrage lautet für Brüssel daher: Wird die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten künftig mit einer Reihe von Klima-Klagen überziehen und milliardenschwere Bußgelder gegen Länder verhängen? Oder gibt Brüssel klein bei? Spätestens in der zweiten Hälfte der 20er Jahre wird das Thema akut. Und es hat ordentlich Sprengkraft. Diese könnte sogar so groß werden, dass sie die EU zerreißt.
Brüssel in unangenehmer Lage
Es ist unwahrscheinlich, dass Brüssel politisch genug Durchsetzungskraft hat, um gegen eine Mehrheit der Staaten Klima-Vertragsverletzungsverfahren zu führen. Auf Nachfrage von FUCHSBRIEFE erklärt das Centrum für Europäische Politik (CEP), dass es sich die EU nicht erlauben könne, auf Verfahren und eventuell finanzielle Sanktionen zu verzichten. Das gesamte Rechtssystem würde "dysfunktional" werden, so das CEP.
Politische denkbar wäre aber, dass die Mitgliedsstaaten die Abschaffung des Sanktionssystems für die Klimaziele beschließen. Das hält das CEP allerdings für unwahrscheinlich, schon wegen des bestehenden Einstimmigkeitsprinzips für Vertragsänderungen. Fahrt aufnehmen werden allerdings Austrittsdiskussionen, etwa in Ländern wie Polen oder Italien. Und wenn der erste bedeutende Stein fällt - also ein größeres Land sich gegen den Sanktionsmechanismus auflehnt - werden andere folgen. Daher wird die EU nicht anders können, als den Mitgliedsstaaten irgendwie entgegen zu kommen.
Einhaltung der Klimaziele ist äußerst ungewiss
Das größte Problem ist das Fit for 55 Programm der EU. Bis 2030 soll der Ausstoß der Treibhausgase (THG) um 55% im Vergleich zum Niveau von 1990 gesenkt werden. Das scheint allein beim Blick auf die fünf größten Emittenten (Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Spanien) unrealistisch.
- Deutschland: Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck erklärte, dass sich die Emissionsminderung verdreifachen müsse. Der Rückstand zum Soll-Zustand sei erheblich, die Klimaschutzziele 2022 und 2023 kaum zu realisieren. Vor allem der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die energetische Gebäudesanierung brauche mehr Tempo, das er allerdings mit dem KfW-Förderstopp gerade ausgebremst hat. Zwischen 1990 und 2019 wurden bereits 35% der Emissionen reduziert.
- Frankreich: Die Grande Nation hat sich ein Klimaschutzgesetz gegeben das hinter den EU-vorgaben deutlich zurückbleibt. Es sieht vor die Emissionen bis 2030 nur um 40% zu senken. Seit den Gelbwestenprotesten ist Paris generell vorsichtiger beim Thema Klimaschutz unterwegs. Gesellschaftlich verspüren eurokritische Kräfte derzeit heftigen Aufwind – da sind Klimaschutz-Vorgaben aus Brüssel für die Regierung Macron eher lästig. Bis 2019 wurden 19,9% der Emissionen reduziert.
- Italien will aus dem Corona-Wiederaufbaufonds mehr als 60 Mrd. Euro für Klimaschutzmaßnahmen ausgeben. Allerdings stagniert das Land seit Jahren bei der Emissionsminderung und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Bürokratie lähmt die Genehmigungsverfahren. Zudem wollen viele Kommunen keine großflächigen Photovoltaikanlagen oder Windparks und berufen sich – den alten Römern und ihrer Bauwut sei „Dank“ – auf den Denkmalschutz. Auch die zerbrechliche Koalition in Rom kann jederzeit die Klima-Pläne ausbremsen. Bis 2019 betrug die Emissionsminderung 19,4%.
- Polen lehnt die Klimaschutz-Vorgaben aus Brüssel weitestgehend ab und versucht bereits jetzt wo es nur kann zu blockieren. Sollte Brüssel Warschau auch in puncto Klima mit Sanktionen belegen, ist die politische Sprengkraft äußerst groß. Seit 1990 wurden 17,9% der Emissionen reduziert.
- Den wohl längsten Weg der „großen 5“ hat Spanien zu gehen. Seit 1990 wurden gar keine Emissionen eingespart. Es gab einen Zuwachs um 8,5%.
Weitere Emissionszuwächse zwischen 1990 und 2019 verzeichneten: Irland (+9,9%), Österreich (+1,8%), Portugal (+8,1%) und Zypern (+58,7). Die einzigen Staaten, die die Klimaschutzziele der EU voraussichtlich einhalten werden, sind Griechenland, Portugal und Schweden.
Fazit: Beim Klimaschutz steht für die EU viel Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Denn fast alle Staaten werden die strengen Klimaziele dauerhaft nicht erreichen. Die EU wird dann scharfe Strafen gegen alle diese Staaten durchsetzen müssen. Oder sie weicht Ziele und/oder Sanktionen grundlegend auf.