Im Jahr vier des Arabischen Frühlings zeigt sich deutlich, dass sich die zentrale Auseinandersetzung um die Rolle des Islam im Staat dreht. In Ägypten hatten die islamistischen Muslimbrüder die zunächst weitgehend säkulare Revolte gekapert. Sie stützten sich auf ihre organisatorische Überlegenheit gegenüber den konkurrierenden Parteien. Auf dieser Basis schrieben sie sich ohne jede Rücksicht auf den Rest der Welt ihre Wunschverfassung. Das rief natürlich massiven Protest hervor. Dieser reichte aus, um die islamistische Regierung zu stürzen. Nun versuchen die Militärs etwas Ähnliches. Gestützt auf ihr Kampfpanzer-Monopol haben sie jetzt eine Verfassung durchgesetzt, die auf eine Restauration der von Mubarak geführten Militärdiktatur hinausläuft. Sie verzichten lediglich auf die Person Mubarak. Ein wesentlich positiveres Bild als Ägypten liefert Tunesien. Dort haben sich die in der Ennahda-Partei organisierten Islamisten auf weitreichende Kompromisse mit den säkularen Kräften eingelassen. Hier wurden wesentliche Schutzrechte gegen die religiöse Dominanz wie Gewissens- und Religionsfreiheit explizit in die neue Verfassung aufgenommen. Dazu gehört auch der Schutz des Islam durch den Staat. Die Verfassung erweist sich im positiven wie negativen damit als echter Kompromiss. Aufgrund des Gebens und Nehmens aller Beteiligten bleiben Widersprüche. Sie werden dem Verfassungsgericht wohl einige Arbeit bescheren. Damit werden zukünftige Konflikte aber eben zunächst einmal in friedliche Kanäle gelenkt. Zudem wird durch die Einbindung der säkularen Kräfte auch die Verantwortung geteilt: Sollte Tunesien wirtschaftlich scheitern, stehen die Islamisten nicht – wie in Ägypten – allein am Pranger.
Fazit: Die Kompromissbereitschaft der Ennahda ist nicht zuletzt auf die Einsicht zurückzuführen, dass ein dauerhafter politischer Einfluss letztlich nur über materiellen Erfolg, also wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu erreichen ist – nicht durch religiöse Indoktrination.