Kunden sind durch Prämienvertrieb per se gefährdet
FUCHS | RICHTER PRÜFINSTANZ: Wie kommt es, dass MiFID II nach Ihrer Einschätzung so wenig zu besserer Kundenberatung und mehr Kundenzufriedenheit beträgt?
RA Jens Graf: Eine auf konkrete und gezählte Fälle gestützte Antwort, was einen Trend nach MiFID II betrifft, habe ich naturgemäß nicht. Allerdings erlaube ich mir die Einschätzung, dass die Zufriedenheit des Kunden wenig darüber aussagt, ob er tatsächlich eine seine Interessen wahrende Beratung bekommen hat. Solange der Berater vom Produktaufleger umsatzabhängig prämiert wird – unter Ärzten und Pharmareferenten sagt der Bundesgerichtshof dazu übrigens Korruption –, ist der Kunde objektiv immer (!) gefährdet. Das Schlimme ist, dass er es nicht merkt, weil das sogenannte Transparentmachen dieser Situation leider nicht zu der entsprechenden Erkenntnis führt. Psychologen sprechen von kognitiver Dissonanz: Das beschränkte Wissen des Privatanlegers, der seinem Berater vertraut, und sein fester Glauben daran, man werde mit ihm schon seriös umgehen, verhindern unbewusst, dass er die Warnungen überhaupt erfassen kann, die zudem oft nicht in seiner Sprache formuliert sind. Der Berater wird ihm, wenn ihn das seine Prämie kosten kann, schwerlich aus diesem Defizit heraushelfen. Daran hat „Mief – Fit“ nichts geändert. Und, – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Durch Corona wird der Verkaufsdruck vermutlich nicht kleiner werden. Im Gegenteil. Insofern habe ich auch keine positiven Erwartungen, was die Beratungsqualität durch mehr Digitalisierung betrifft. Ich würde mich nicht wundern, wenn es eher negative Auswirkungen gibt.
Immer wieder neue Wellen
Äußert sich dieses Unbehagen auch in mehr Kundenklagen?
Rückblickend sind diverse Wellen erkennbar. Zum Beispiel Warenterminbetrügereien und Optionsscheine. Die letzte Phase betraf prämienstimulierte Fehlberatungen insbesondere bei geschlossenen Fonds. Nach meinem Eindruck ist dieses Thema mittlerweile ausgelaufen. Heute treiben uns in zunehmender, noch zweistelliger Zahl vor allem Prozesse gegen Wirtschaftsprüfer im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal und Verfahren gegen Kapitalanlagegesellschaften um. Kapitalverwaltungsgesellschaften belasten Privatanleger mit Vertriebsentgelten, die sich professionelle Investoren schon seit Jahren erfolgreich verbitten. Wir meinen, dass diese Ungleichbehandlung dem Kapitalanlagegesetzbuch widerspricht.
Die Honorarbeteiligung bleibt benachteiligt
Sehen Sie positive Verhaltensänderungen bei Banken?
Leider nein. Die Honorarberatung bleibt im Wettbewerb gegenüber dem Prämienvertrieb weiterhin benachteiligt. Nach wie vor liegt für mich daher der Ursprung des Übels in den Provisionszahlungen in Milliardenhöhe. Privatkunden können vielfach schon nicht begreifen, in welchen Größenordnungen sich die Entwicklung ihres investierten Vermögens allein durch ihnen berechnete Entgelte für Provisionen verschlechtert. Zudem nehmen sie nicht wahr, dass die andauernde Prämierungspraxis sie konkret gefährdet. Dass das alles auch noch unter der gesetzgeberisch geduldeten Überschrift „Transparenz“ läuft, ist eine gesellschaftspolitische Schande. Anstatt rein umsatzabhängige Prämierungen zu verbieten, um Produkte auch ohne die geschuldete ausschließliche Berücksichtigung der Kundeninteressen zu vertreiben, gestattet man sie. Und das, obwohl dies oft auch im Finanzwesen und nicht nur im Pharmabereich nichts anderes als Schmiergelder sind. Zugleich gibt aber man aber vor, sie durch Regulierungen verhindern zu wollen, wie § 70 WpHG zeigt. Ganz offensichtlich allerdings seit Jahren vergeblich. Stattdessen produzierte man eine unglaubliche Häufung an verschwurbelten Vorschriften, förderte die Bürokratisierung weiter und steigerte die Kostenlast, die am Ende wieder der Verbraucher zahlt. Deutschland gehört zu den Ländern Europas, in denen diese Praxis immer noch erlaubt ist.
Die Honorarbeteiligung ist das einzig Wahre
Der Ausweg aus dieser Situation liegt…
… ganz klar in der Honorarberatung. Anstatt horrende Provisionen auch während der gesamten Laufzeit von Fonds zu zahlen, sind Kunden mit einem bedarfsorientierten, dem freien Wettbewerb ausgesetzten Beratungshonorar besser bedient. Das beträgt nur einen Bruchteil dessen, was an Zuwendungen erwartet wird. Für derzeit prämienverwöhnte Finanzdienstleister ist die Umorientierung ersichtlich unattraktiv, weshalb Honorarberatung so gut wie nicht praktiziert wird. Und da die Politik augenscheinlich auf dem Standpunkt steht, dass es besser ist, wenn statt dem Staat der Privatkunde dies finanziert, obwohl er die Finanzwelt in ihrer derzeitigen Gestaltung nicht versteht, nimmt man die Prämienpraxis als das vermeintlich kleinere Übel weiter in Kauf.
Finanzbranche darf Provisionen behalten, wenn sie transparent sind
Was können Sie als Rechtsanwalt dagegen tun?
Wir streben an, eine Umschichtung von Vermögen zu kompensieren, indem wir Klienten u. a. dabei unterstützen, Ausgabeaufschläge zurückzubekommen. Nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs sind umsatzabhängige Prämien für die Verordnung von Medikamenten Korruption. Zivilrechtliche BGH-Urteile scheinen der Finanzbranche dagegen zu erlauben, Provisionen zu behalten, wenn die Praxis „transparent“ gemacht wird. Im Wertpapierhandelsgesetz sind solche Zuwendungen ausdrücklich verboten. Wörtlich befolgt sollte der – gleichwohl den Regelfall bildende – Ausnahmetatbestand Provisions-„Beratung“ unmöglich sein. Professionelle Anleger nutzen ihr Wissen um diesen Widerspruch und zahlen für Fonds seit Jahrzehnten weder Ausgabeaufschläge noch sonstige Vertriebsentgelte. Kapitalverwaltungsgesellschaften halten sich insoweit nur am Privatanleger gütlich. Darin sehen wir eine unfaire Ungleichbehandlung, gegen die wir juristisch vorgehen. Bis Privatanlegern wieder zu ihrem Recht verholfen sein wird, gilt es derzeit, Unverständnis und Widerstand von Seiten einiger Gerichte zu überwinden. Wir bleiben mit erhöhten Anstrengungen dran.
Herr Graf, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch mit dem Anlegeranwalt Jens Graf führte Elke Pohlfür die FUCHS | RICHTER PRÜFINSTANZ.