Verliert das Private Banking seine Seele?
Auffällig ist in den 2010-er Jahren der Qualitätsaufschwung, den die österreichischen Privatbanken genommen haben. Obwohl die Anbieter vergleichsweise klein waren (und noch sind), ist es ihnen gelungen, das in einen Vorteil umzumünzen. Denn die Teams sind überschaubar und Qualität lässt sich viel besser über die Breite der Beraterschaft implementieren.
Kunden nehmen das an einer Riege zum Teil herausragender Adressen wahr, die ihren Beratungsprozess neu aufgesetzt und in Top-Form gebracht haben und auch erstklassige, kundengerechte Anlagekonzepte liefern. Die FUCHS | RICHTER Prüfinstanz benennt sie Jahr für Jahr in ihren Markttests. Daran können sich vor allem Schweizer Adressen eine dicke Scheibe abschneiden.
Erneute Zeitenwende: Nachhaltigkeit als Muss in der Beratung
Das neue Jahrzehnt steht unter dem Eindruck der Nachhaltigkeitsdebatte. Die Entscheidung der EU, Milliarden für den Umbau der Wirtschaft locker zu machen und Nachhaltigkeit zum Muss für die Beratung zu erklären, war für zahlreiche Häuser der endgültige Startschuss, das Thema konsequent in den Beratungsprozess zu integrieren. Doch es ist so komplex, dass viele Anbieter in der Theorie der praktischen Umsetzung in der Beratung weit vorausgeeilt sind.
Die Berater sind oft nur rudimentär im Thema. Sich beständig auf dem Laufenden zu halten, erfordert große Eigeninitiative bei den Beratern. Da es zu einem Imageverlust führen würde, nachhaltiges Private Banking mit dem eigentlich notwendigen Preisaufschlag zu belegen, versuchen die Banken, das Gebührenniveau insgesamt anzuheben. Außerdem schieben sie die Einstiegsgrenzen für die Einzeltitelanlage immer weiter nach oben. Für nachhaltige Portfolios sind 5 Mio. Euro keine Ausnahme mehr.
Inflation! Die Banken erkennen den Paradigmenwechsel erst sehr spät.
Und schon kommt die nächste Krise auf Private Banker und ihre Kunden zu. An den Märkten findet mit dem Aufkommen einer massiven Inflationswelle der nächste Paradigmenwechsel statt. Hier haben sich die Anbieter nicht mit Ruhm bekleckert. Viele folgen in ihren Inflationsprognosen der Europäischen Zentralbank (EZB) wie der Hund dem Herrchen. So haben auch die Privatbanken die Hartnäckigkeit und Intensität der Inflationswelle erste sehr spät erkannt und somit auch deren Folgen für die Anlagevermögen der Kunden.
Die Notenbanken müssen die Geldvergabe straffen, die Zinsen steigen wieder, Umbauten im Anlageportfolio werden nötig, die Produkte und Portfoliostrategien müssen allesamt scharf angeschaut werden. Zumal eine Stagflationsphase und ein Bärenmarkt an der Börse begonnen haben.
Bewährungsproben für Berater
In der Krise gilt es sich als Berater zu bewähren. 2008 war das oft nicht der Fall. Der Kontakt zum Kunden wurde zu spät aufgenommen, Portfolios nicht rechtzeitig angeschaut. Inzwischen haben die Private Banking-Institute hierzu eindeutige Prozesse aufgesetzt, wann sie spätestens ihre Kunden kontaktieren und mit ihnen beraten, wie man sich aufstellen sollte. Ob das von der ausgedünnten Manpower bewältigt werden kann, muss sich noch zeigen.
Die Standardisierung geht weiter – verliert das Private Banking seine Seele?
Absehbar ist: Der Konsolidierungs- und Standardisierungsprozess in der Branche geht weiter. Doch gerade die Standardisierung von Produkten und Prozessen kommt den kostengünstigen Robo Advisern entgegen, die seit einem Jahrzehnt auf dem Markt sind und zunehmend Aufmerksamkeit erfahren.
Die Private Banking-Kundschaft wird jünger und technik-affiner. Die Geldhäuser und unabhängigen Vermögensverwalter müssen beides klug miteinander verbinden, um am Markt gebraucht zu werden und ihre deutlich höheren Kosten rechtfertigen zu können. Mit immer mehr Standardisierung, bei der der Kunde zum Angebot und nicht zuvorderst das Angebot zum Kunden passen muss, droht Private Banking seine Seele zu verlieren. Denn die besteht darin, individuell auf die persönlichen Wünsche und Ziele des Kunden einzugehen und ihm maßgeschneiderte Anlagekonzepte zu erarbeiten.