Werte über Bord
Je länger der Ukraine-Krieg dauert, je weiter die russischen Truppen vorrücken, desto wütender und größer werden die Forderungen aus der Ukraine. Ihr Tenor ist immer der gleiche: Deutschland müsse mehr tun. Es brauche mehr Geld, mehr Waffen, mehr Hilfen. Zugleich schimpfen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk darüber, dass Deutschland zu wenig tue. Melnyk verstieg sich sogar zu der Aussage, dass sich die aus der Ukraine geflüchteten Menschen in Deutschland nicht wohl und willkommen fühlten – und deswegen wieder in ihr Land zurückkehrten; was aus Sicht betreuender Organisationen schlichtweg Quatsch ist.
Moral ist keine rechtsstaatliche Leitlinie
Ich kann diese arroganten und undankbaren Verbal-Attacken und die Instrumentalisierung des Krieges nicht mehr ertragen. Und das liegt nicht nur daran, dass jeder Interessierte nachlesen kann, wie viele Milliarden Deutschland für die Ukraine bereitstellt. An reinen Geldleistungen hat Deutschland bisher 2,35 Mrd. Euro direkt bereitgestellt. Hinzu kommen die Gelder, die Deutschland indirekt über EU-Töpfe zahlt – schließlich sind wir die größten Netto-Zahler der Union. Jetzt bekommt die Ukraine voraussichtlich sogar noch den EU-Kandidatenstatus. Auch der wird nochmal teuer werden (FB vom 15.06.).
Mein größtes Problem im Umgang mit der Ukraine ist, dass wir hierzulande etliche rechtsstaatliche Prinzipien über Bord werfen – aus moralischen Gründen. Das beginnt bei der sonst in Deutschland so wichtigen Gleichbehandlung, die sogar im Antidiskriminierungsgesetz geregelt ist und endet bei den Eigentumsrechten.
Viele Ausnahmen für Ukrainer höhlen Gleichbehandlung aus
Die Zahl der Ausnahmen, die für Ukrainer gemacht wird, ist erheblich. So dürfen Ukrainer kostenlos Bahn fahren, ein Aspekt, den ich noch nachvollziehen kann, wenn es darum geht, Flüchtlinge ohne Geld aufzunehmen (inzwischen 700.000), die nur mit "ihren Sachen auf dem Leib" nach Deutschland kommen. Außerdem hat sich die Politik großzügig entschlossen, keinerlei Grenzkontrollen durchzuführen, um den Flüchtlingsstrom nicht zu bremsen. In anderen Flüchtlingskrisen war das anders.
Eine erhebliche Vorzugsbehandlung ist auch, dass Ukrainer inzwischen normale Sozialleistungen wie Kindergeld und auch BAföG erhalten. Es gilt für sie nicht mehr das Asylbewerberleistungsgesetz, das die hier ankommenden Menschen finanziell deutlich schlechter stellt. Für andere Flüchtlinge gilt das nicht – zu recht. Auch die Auflage, ihren Wohnsitz nicht (in den ersten drei Jahren) zu wechseln, ist für Flüchtlinge aus der Ukraine gelockert. Ich kann das nicht nachvollziehen, zumal nicht einmal klar ist, wie viele Ukrainer sich eigentlich aktuell in Deutschland aufhalten. Etliche sind bereits in ihr Land zurückgekehrt. Wer hier bereits seit langem wohnt, soll sich aber dem Zensus – der Volkszählung – stellen …
Gnadenloser Eingriff ins Eigentum
Besonders kritisch ist für mich der willkürliche Eingriff in die Eigentumsrechte. So frieren die Staaten, die aus moralischen Gründen auf der Seite der Ukraine stehen, das Vermögen und Eigentum russischer Oligarchen ein, weil sie eine "Nähe zu Putin" vermuten. Diese Nähe mag bestehen, sie ist aber im Einzelfall nicht nachgewiesen, schon gar nicht vor Gerichten. Eine derart freihändige Rechtsauslegung unterläuft in meinen Augen die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit. Denn dieses Prinzip soll vor staatlicher Willkür schützen.