London denkt an Verstaatlichung
Auch in London verdichten sich die Anzeichen für einen Rückzug von Gazprom aus Westeuropa (FB vom 03.03.2022). Der russische Konzern versucht seit Wochen unter Hochdruck, seine Tochter Gazprom Marketing & Trading Retail Ltd. zu verkaufen. Bisher hat sich aber kein Interessent gefunden.
Nun rückt die Verstaatlichung der Gazprom-Tochter näher. London verfolgt das unbedingte Ziel, das Unternehmen am Leben zu erhalten. Denn inzwischen ist absehbar, welch wichtige Rolle Gazprom mit seiner Handelstochter in UK spielt.
60.000 Unternehmen hängen an Gazprom in UK
Das Unternehmen bedient einen Kundenstamm von mehr als 60.000 Firmen. Zu denen zählen auch irische, niederländische und französische gewerbliche Abnehmer. Versorgt werden reichlich 100.000 Betriebsstätten. Im britischen Kundenkreis ist auch der staatliche britische Gesundheitsdienst (NHS) zu finden.
Alle diese Kunden werden kurzfristig keinen anderen Gaslieferanten finden. Und selbst wenn sie einen fänden, würde sich der Gaspreis für diese Unternehmen schlagartig extrem verteuern. Teilweise dürfte sich der Preis gegenüber den aktuellen Verträgen locker verdoppeln. Denn Gazprom hat mit vielen Abnehmern so genannte Hedging- oder langfristige Festpreis-Verträge abgeschlossen und diese Konditionen auch trotz des rasanten Preisanstiegs eingehalten.
Das Geschäft muss weitergehen
Ein Gazprom-Konkurs ist darum keine Option. Wesentliche Teile der UK-Wirtschaft würden davon in Mitleidenschaft gezogen werden. Darum setzt London nun alles daran, dass die Gesellschaft irgendwie weitergeführt werden kann. Dabei wird an die multinationale Teneo-Consulting-Gruppe als eine Art Geschäftsführer gedacht. Unter Dach und Fach ist trotz des Drucks der Wirtschaft bisher aber noch nichts. Denn für eine solche Art von Verstaatlichung sind erhebliche regulatorische Vorkehrungen unumgänglich.
Gazprom Trading & Marketing beschäftigt rund 350 Mitarbeiter in der Londoner Zentrale und einem weiteren Betrieb in Manchester. Im Gegensatz zur überwiegenden Annahme verkauft die Gesellschaft nicht das Gas der russischen Muttergesellschaft, sondern beschafft es sich an den verschiedensten Märkten. Viel kommt davon aus der britischen Nordsee.