Deutschlands verkehrte Welt
Unser Staatswesen hat die falsche Richtung eingeschlagen, schreitet aber konsequent voran. Wer leistet, wird gefordert, wer nichts tut, wird unablässig unterstützt. Das kann nicht gutgehen. Nicht nur, weil es uns finanziell aus den Schuhen hebt.
Der Bund gibt 281 Mrd. Euro für Soziale Sicherung, Familie und Jugend aus. 42 Mrd. Euro für Arbeitsmarktpolitik. 17 Mrd. Euro für Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung. Zusammen sind das 340 Mrd. Euro. 8 Mrd. mehr und wir haben den Umfang des gesamten Bundeshaushalts des Jahres 2018 erreicht. Heute (2022) umfasst dieser 557 Mrd. Euro. 61% greift der Sozialstaat direkt ab. Die Sozialleistungsquote als Summe aller Sozialleistungen im Verhältnis zum gesamten Bruttoinlandsprodukt liegt jetzt bei einem Drittel. Und doch ruft die Sozial-Lobby in einer Tour: Das reicht nicht.
"Darauf hab' ich ein Anrecht"
Es ist die falsche Mentalität, die wir damit befördern. „Darauf hab‘ ich ein Anrecht“ – diesen Satz höre und lese ich viel zu oft. Und mit dem neuen Bürgergeld befeuern wir diese Einstellung weiter. Das Bürgergeld soll zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen und die Würde des Einzelnen achten. Es soll der nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt dienen. Es soll unkompliziert und auch digital zugänglich sein. Alles gute und richtige Ansätze. Doch was kommt dabei heraus? Wir zwingen niemanden zu arbeiten, der sich zwar arbeitslos meldet, aber partout nicht arbeiten will. Was diesen Menschen dennoch zusteht, haben Regierung und Verfassungsgericht festgelegt. Wohnung, Essen, Taschengeld und – nicht zu verachten –, Heizung.
Nein, ich will niemanden, der sich in dieser Weise und aus meiner Sicht nicht sozial verhält, verhungern lassen. Aber, dass wir Menschen, die anpacken könnten, aber nicht wollen, weil ihnen der Job nicht schmeckt, bemitleiden, statt sie täglich zum Mitmachen aufzufordern, das will mir nicht in den Kopf. Warum sollen sie sich nicht dafür revanchieren (müssen), dass die Gemeinschaft sie unterstützt? Was ist daran würdelos? Das Gegenteil trifft zu.
Eine Frage der Einstellung
Es geht mir nicht um den Einzelfall. Da mag es immer wieder Beispiele geben, warum eine Jobannahme tatsächlich unzumutbar ist. Ich will auch niemanden aus seiner zu großen Wohnung werfen, die der Staat bezahlt oder zum täglichen Rapport bei der Arbeitsagentur zwingen.
Mentale Schieflage
Mir geht es um die mentale Schieflage. Denn während der Staat das Sozialgesetzbuch erneut zugunsten der Hilfebezieher umschreibt, nimmt er diese Rücksichten an anderer Stelle nicht. Wie viele Antragsteller auf staatliche Hilfen sind nach der Ahr-Flut in völliger Verzweiflung, weil der Staat sie im Dschungel der Antragsbürokratie verhungern lässt? Wie viele Unternehmer fühlen sich ob der zu ihren Lasten veränderten Bedingungen für Corona-Hilfen in die Wüste geschickt? Wenn diese überhaupt ankommen. Wie viele Grundeigentümer müssen den Papierkrieg der neuen Grundsteuer führen und dafür ihre Wochenenden und Erholungszeiten opfern? Und viel zu viele blicken nicht durch. Doch wer das Fristende am 31. Oktober überschreitet, dem drohen Verspätungszuschläge. Wie viele Stunden mutet der Staat seinen Bürgern für Steuererklärungen zu? Und verlangt er nicht auch, dass wir als Steuerzahler ihm gegenüber „die Hosen runter lassen?“
Gängel-Manier für Leistungsträger
Sobald man etwas leistet und Einkommen hat, gilt das alles nicht mehr als würdelos. Da sind Bürokratie und staatliche Gängelung dann völlig ok. Verlangt das Amt eine Unterlage, muss es zack, zack gehen. Und wie lange warten Sie schon auf die Bearbeitung Ihrer Steuererklärung? Überzieht der Bürger Fristen, trifft ihn schnell die Keule der Verwaltung. Umgekehrt muss er fast alles hinnehmen. Das ist in vielen Ländern, Großbritannien, Schweden, Japan etwa, anders. Dort versteht sich die Verwaltung als helfende Hand.
In dieser Gängel- und Zumutungs-Manier geht es weiter. Weil der Europäische Gerichtshof meint, es bestünde eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, stapfen wir zurück ins arbeitszeittechnische Mittelalter. Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser, soll schon Genosse Lenin gewusst haben. Und das im Homeoffice-Zeitalter. Müssen wir eigentlich jeden Stuss mitmachen, der aus Brüssel oder Luxemburg kommt? Gesetze fallen schließlich nicht vom Himmel. Sie werden von der Politik gemacht – und können folglich auch geändert werden. Das gilt nicht nur fürs Sozialgesetzbuch.