Schlauer als die Kanzlerin konnte man das Thema Flüchtlingspolitik nicht anpacken. Noch im Juli sagte sie an die Adresse eines palästinensischen Mädchens: „Wenn wir sagen, ihr könnt alle kommen, das können wir nicht schaffen“. Die Presse urteilte: hartherzig. Ende August, angesichts des Flüchtlingsstaus in Ungarn, sagte sie dann die mit niemandem abgestimmten, folgenschweren Sätze: „Wir schaffen es“ und „Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze.“ Nun feierten sie die Medien als weltoffene, sympathische Kanzlerin. Ganz Deutschland ist seitdem das Land der Guten.
Mehr Chuzpe geht nicht. Es musste Merkel klar sein, dass nun ein Ansturm auf Deutschland einsetzen würde. Ein Ansturm, der alle Beteiligten sehr schnell überfordern würde: Bürgermeister, Landräte, Ministerpräsidenten und Helfer. Und das so offensichtlich, dass auch die Presse würde einsehen müssen: Hier hilft nichts mehr, außer dem Grenzschluss.
Eine Folge ist: Alle Bundesländer stimmen einem schärferen Grenzregime zu. Die humanitären Bedenkenträger namentlich in der Opposition bleiben stumm. Bayern an der deutschen Außengrenze kann nun wie gewünscht durchgreifen und Flüchtlinge aufspüren.
Die zweite Folge: Der Zustrom ebbt ab. Es kommt wieder Ordnung ins chaotische Verfahren. Registrierung, Asylverfahren, ggf. Abschiebung. Das trifft den Nerv der Bundesbürger, weil man ein herzliches Willkommen (gutes Gewissen) mit Beinahe-Normalität (Turnhallen werden wieder nutzbar) verbinden kann.
Die dritte Folge: Die bereits im Bau befindlichen Kapazitäten erhöhen die generelle Leistungsfähigkeit der Zuwanderungsstellen. Es können also laufend mehr Menschen ins Land kommen. Die Finanzierung ist angesichts der guten Lage des Bundeshaushaltes kein Problem – es wird dafür nirgends etwas gestrichen.
Außenpolitisch schlägt die Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe. Durch den zeitweisen Zustrom hat man sich moralisch unangreifbar gemacht. Alle wissen seit der Grenzschließung aber auch: Berlin ist nicht mehr gewillt, die Last fast alleine zu schultern.
Die Lösung á la Berlin könnte so aussehen: Hotspots (Flüchtlingserstaufnahmelager in Italien, Griechenland und Spanien) und von dort Verteilung auf die Mitgliedsländer. Das in Deutschland Monate dauernde Asylverfahren wird möglicherweise vor die deutsche Grenze verlegt. Verteilt werden nur noch jene Flüchtlinge, die einen Anspruch auf Asyl nachweisen können. Damit erledigt sich auch die Quoten-Diskussion. Die Vorschalt-Länder werden finanziell üppig entschädigt.
Fazit: Merkel hat mit dieser Doppelstrategie Bewegung in die Flüchtlingspolitik gebracht. Was zunächst wie eine Affekthandlung aussah, war offenbar raffiniertes Kalkül. Ohne ihr „Die Tor macht weit“, hätte sich wohl keines der nun erzielten Ergebnisse erreichen lassen.