Pflicht-Ticket für ÖPNV?
Berlin diskutiert, ein Pflichtticket für den ÖPNV für alle einzuführen. Das erfahren FUCHSBRIEFE aus gut informierter Quelle. Motto: Was für den öffentlichen Rundfunk geht, muss für die öffentliche Verkehrsbetriebe doch auch möglich sein. Hintergrund sind erhebliche Einnahmeausfälle der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) von rund 90% im Zuge des Lockdown. Viele Menschen sind nicht mehr mit Bus und Bahn gefahren. Etliche Nutzer des ÖPNV kaufen aber auch einfach keine Tickets mehr. Denn Fahrscheinkontrollen finden praktisch nicht statt. Auch das in den Bussen übliche Bezahlen beim Fahrer wird derzeit aus Sicherheitsgründen nicht praktiziert.
Pflicht-Ticket für Berliner in der Diskussion
Schon jetzt sind sämtliche Zukunftsplanungen der BVG bereits Makulatur. Darum diskutiert die BVG intern heftig darüber, wie diese Verluste aufgefangen werden können – und wittert eine historische Chance. Die Überlegung: Jeder in Berlin Gemeldete muss dann eine Jahresfahrkarte kaufen. Die soll für die Tarifbereiche AB, BC oder ABC erworben werden können. Mit dem Ticket sollen dann sämtliche Verkehrsmittel dieser Tarifbereiche uneingeschränkt genutzt werden können. Dem Vernehmen nach gibt es sogar bereits grobe Kalkulationen für den Ticketpreis. Der könnte für die Bereiche A/B (Monatskarte akt. 84 Euro) zwischen 40 und 50 Euro liegen.
Die Idee ist nur eine Erweiterung bereits bestehender Grünen-Forderungen. Die Ökos im Berliner Senat wollen schon lange ein Pflichtticket für Berlin-Touristen einführen. Damit wollen sie eine feste neue Einnahmequelle für die ständig steigenden Kosten der BVG etablieren. Das Kassieren des Pflichttickets für Touristen wäre einfach. Es könnte an das bereits etablierte System des City Tax angedockt werden. Seit 2014 zahlen Berlin-Touristen 5% ihres Reispreises als „Besuchs-Steuer“.
Erhebliche Mehreinnahmen in Aussicht
Schon das verpflichtende Touristenticket würde zu Mehreinnahmen von etlichen Millionen führen. Bisher fließen ca. 60 Mio. Euro aus den Taschen der Touristen in die BVG-Kassen. Mit einem Zwangs-Ticket für Touristen würden die Einnahmen auf etwa 150 Mio. Euro steigen, so grobe Kalkulationen.
Die Einführung eines Pflichttickets für alle Berliner würde viele Probleme lösen. Zunächst würden die Ticketpreise etwas sinken, weil viel mehr Berliner ein Ticket kaufen müssten. Die Kosten könnten somit auf mehr Köpfe verteilt werden. Das ist ein politisch gut verkaufbares Argument. Zumal es den Grünen ohnehin darum geht, den ÖPNV zu stärken, Fahrräder in der Stadt zu fördern und Autos auszubremsen.
Ziel: Finanzierung der Umstellung auf E-Busse sichern
Insgesamt geht es dem Senat aber darum, mehr Geld in die Kassen zu bekommen. Das ist zwingend nötig. Seit Jahren steigen die Kosten stark. Allein die Mehrkosten des vorigen Tarifvertrages (+14% Gehalt) liegen bei 100 Mio. pro Jahr – und bisher hat der Senat der BVG das zugesagte Geld für diese Tariferhöhung noch nicht überwiesen. Der Streit um dieses Geld schwelt schon länger.
In der Corona-Krise geht die BVG nun auf Konfrontationskurs gegenüber dem Senat. Die Verkehrsbetriebe haben ihre Großorder für E-Busse komplett storniert und torpedieren damit die Elektro-Wende des Senats. Wenn Berlin will, dass die BVG die vielen teuren E-Busse anschafft, wird die Stadt nun wohl tief in die Kasse greifen müssen. Denn der System-Umbau ist aufwändig und teuer. Für einen vollständigen E-Betrieb sind mindestens drei Betriebshöfe mehr nötig. Und die Busflotte muss wesentlich größer sein als die heutige Dieselflotte. Die Mehrausgaben für E-Busse belaufen sich bis 2030 auf 1,8 Mrd. Euro. Insgesamt wären die Kosten einer reinen E-Flotte etwa doppelt so hoch wie bei einer Dieselflotte.
Fazit: Die Einnahmeausfälle in der Corona-Krise bieten dem Berliner Senat die einmalige Chance, das Dauerproblem der zu geringen BVG-Einnahmen zu lösen. Die Einführung eines Pflichttickets vergrößert die Einnahmen und kann die politisch gewollte Umstellung auf eine reine E-Flotte finanzieren helfen.