Die Börsen sind aus der Realität katapultiert
Die Aktienmärkte feiern das Konjunkturpaket der Bundesregierung und das neue frische Geld-Geschenk der Notenbank – dabei sind beide ein Alarmsignal. Beide Aktionen zeigen, dass die Sorgen vor einem krassen Schock der Realwirtschaft im weiteren Jahresverlauf tief sitzen. Die Daten zur Realwirtschaft des statistischen Bundesamtes (vgl. FK vom 28.5., LINK) hatten wir Ihnen bereits gezeigt. Die aktuell miesen Zahlen zum Auftragseingang im Maschinenbau (-31%) untermauern das Rezessions-Szenario hart.
Aus dem V-Szenario für eine schnelle Konjunktur-Erholung wird also nichts – global. Der Grund: Die Einschnitte und Beschränkungen waren global, scharf und umfassend. Das zeigte sich anschließend in einem Kollaps sämtlicher Indikatoren für die Realwirtschaft. Die Lockerungen gehen nun aber nur schrittweise voran – in den einzelnen Ländern zudem in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit.
Keine schnelle Erholung
Die konjunkturelle Erholung wird sich darum lange hinziehen. Die ersten Indikatoren für Mai liegen bereits vor. Neue Arbeitslosendaten sowie Sentiment-Indikatoren für Wirtschaft und Verbraucher zeigen zwar eine Verbesserung gegenüber den Rekordwerten vom April. „Sie verbleiben aber auf Rezessionsniveau“, analysiert Quandt Capital Management.
Die Börse feiert das V aber noch unbeirrt weiter. Angetrieben wird sie vom billigen Notenbankgeld und den Konjunkturpaketen. Auch Deutschland hat nun eines auf den Weg gebracht. Gut 130 Mrd. Euro werden verteilt. Das Ziel ist: Die Pferde sollen saufen.
Die Pferde sind scheu
Das Problem: Die Pferde haben Angst. Sie haben angesichts der grundlegend geschürten Unsicherheit vor Corona und den krassen und sehr schnell eingetretenen Veränderungen Angst vor der Zukunft. Die Angst ist zu einem großen Teil real, es ist die Angst vor Job-Verlust, vor geringem Einkommen, vor sozialem Abstieg. Und die Angst ist vielfach irreal. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sie die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit Corona, gepaart mit einem schweren Verlauf betrifft. Zur Erinnerung: In Deutschland gibt es derzeit weniger als 9.000 Infizierte. Täglich stecken sich um die 350 Menschen an. Das reale Risiko ist also gering, aber die Angst ist groß.
Angst vor sozialem Abstieg ist auch in den USA das Thema der Stunde. Die Eskalation der Gewalt nach dem Mord an XXX Floyd ist kein Zufall. Rassistische Vorfälle dieser Art gab es leider immer wieder. Dass gerade jetzt die Gewalt so eskaliert, dass Präsident Donald Trump derart harsch durchgreift, ist der Schuld vor sozialem Abstieg geschuldet. Das Land hat „über Nacht“ 35 Mio. Arbeitslose mehr, es hat bis heute über 107.000 Corona-Tote zu beklagen. Die wirtschaftlichen Aussichten sind mau, der globale Wettbewerbsdruck enorm. Und Trump ist im Wahlkampf-Modus, in dem er ein starker Präsident sein will, der jetzt auch noch gut von seiner verfehlten Corona-Politik ablenken kann.
Es wird gespart, was das Zeug hält
Die Reaktion auf die Angst lässt sich in der Sparquote ablesen. Die ist laut Bundesbank von 9,7% im 4. Quartal 2019 auf 16,7% im ersten Quartal 2020 gestiegen. Für die Monate April bis Juni, prognostiziert die Commerzbank einen Anstieg auf bis zu 20%. Auch im Konsumland Nr. 1, den USA. Die privaten Haushalte sparten im April 33% der verfügbaren Einkommen – nach 12,7% im März und um die 3% im Jahr 2005.
Diese Angst ist der wahre Konjunkturkiller. Den kurzfristigen Konjunkturschock haben wir überwunden. Aus Sorge vor der Zukunft begeben sich viele Menschen aber nun in eine voraussichtlich längere Konsum-Quarantäne. Das Rettungspaket der Bundesregierung soll also vor allem die Panik-Starre verhindern. Effektiver wäre es vermutlich, den Menschen ein realistisches Corona-Bild zu vermitteln, die Unternehmen wieder uneingeschränkt arbeiten zu lassen und den Menschen so die Angst zu nehmen.
Erst Champagner-Stimmung, dann der Kater
Die Börsen sind noch in Champagner-Stimmung. Der Nasdaq erreicht fast sein Allzeithoch. Der DAX steht wieder bei 12.500 Punkten. Vor nur drei Monaten hat der DAX um die Marke von 8.000 Punkten gekämpft. Die Aktienmärkte koppeln sich immer weiter von der Realwirtschaft ab. Die Aussichten bis Jahresende sind aber ziemlich mies. Das wird so nicht bleiben – und die Börsen sind agiler als die Konjunktur und werden sich dem realen Bild wieder angleichen.