Aufholjagd
Auf dem Feld "Big Data" ist noch viel Boden gut zu machen.
Die deutsche Wirtschaft ist mit Industrie 4.0 überfordert. Einerseits möchte sie bei der Vernetzung von Produktionsprozessen den globalen Trend bestimmen. Andererseits präsentierte die Bundesregierung auf dem IT-Gipfel in Hamburg eine Umfrage, wonach 80% der Mittelständler meinen, die Digitalisierung sei für sie nicht relevant. Industrie 4.0 ist mehr Schlagwort als Realität. Investiert wird kaum. Weniger als eine Mrd. Euro will die deutsche Industrie im kommenden Jahr hineinstecken. „Zu wenig“, schlägt der BDI Alarm. Der Industrieverband ist allerdings nicht in der Lage, seine Mitglieder zu einer einheitlichen Strategie zu verpflichten. Der Automobilbau verweigert sich einer gemeinsamen Industrieplattform total. Die Chance, dass das klassische Industrieland Deutschland den globalen Standard für die Industrie setzt, wird immer kleiner. Bosch hat sich dem US-Konsortium um Cisco, Intel, IBM GE und AT&T angeschlossen, andere wollen folgen. Im Dezember schlug Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Tisch. Er wird die bislang ergebnislosen Gespräche zwischen den Verbänden Bitkom, ZVEI, VMDA und der Industrie unter seiner Regie führen. Gabriel zieht mit EU-Digitalkommissar Günther Oettinger (CDU) an einem Strang. Beide fürchten, dass die Amerikaner die vernetzte Industrie so dominieren werden wie schon heute das Internet. Ihr Ziel sind gemeinsame Standards, die allen Zugang garantieren, nicht nur den Großkonzernen. Ebenso hilflos agiert die Wirtschaft beim „Internet der Dinge“. Dabei werden Menschen, Maschinen und Produkte vernetzt und die gewonnenen Datenströme gewinnbringend verwertet. Vor allem die Mittelständler haben Angst, sich durch eine forcierte Digitalisierung selbst ans Messer zu liefern. Schließlich haben in allen Branchen, in denen bislang die Digitalisierung Einzug hielt – Musik, Film, Medien, Handel – US-Konzerne die deutsche und europäische Konkurrenz aufgemischt. Jetzt ist der Kern der deutschen Wirtschaft dran. Wer im Besitz der Daten ist, hat beim Internet der Dinge die Macht. So stehen mit „Amazon Echo“ und „Google Nest“ für das „Smart Home“ bereits die Kommandozentralen der Big-Data-Konzerne bereit. Sie degradieren Stromversorger, Heizungsbauer oder Telekomfirmen zu bloßen Zulieferern. Eine Studie von Boston Consulting zeigt die Umleitung der Erlöse: 80% landen bei Microsoft & Co, nur 20% bei Industrieausrüstern wie Siemens. Die deutsche Wirtschaft scheut einerseits den großen Einstig ins Big-Data-Geschäft. Andererseits werden schon 2018 mehr als die Hälfte aller Elektrogeräte internetfähig sein. Hinzu kommt, dass noch ein rechtliches Konzept fehlt, in welchem Ausmaß Verbraucherdaten überhaupt verwertbar sein dürfen. Hier blickt man fragend nach Brüssel.
Fazit: Das „Internet der Dinge“ ist das Industriethema 2015. Wirtschaftsminister Gabriel und EU-Digitalkommissar Oettinger haben seine Relevanz erkannt und versuchen verlorenes Terrain gutzumachen.