Die Industrie 4.0 wird auch den Einkauf drastisch verändern. Vielfach werden allerdings theoretische Überlegungen und die Praxis noch viele Jahre hart aufeinander stoßen. Maschinen können durch Vernetzung miteinander kommunizieren und selbstständig Entscheidungen treffen. Nicht nur der Kühlschrank sagt, wenn die Milch alle ist, die Textilmaschine wacht über die Garnzufuhr und bestellt selbstständig rechtzeitig nach – am besten gesammelt über mehrere Betriebe eines Unternehmens weltweit, um Skaleneffekte zu erzielen. Das Internet ist die Preis-Plattform, die mitteilt, wo günstigste Kosten zu erreichen sind.
Die gesamte Lieferkette des Unternehmens lässt sich mit Hilfe von Industrie 4.0 unternehmensübergreifend optimieren. Reaktionszeiten und Wiederbeschaffungszeiten werden verkürzt, Transparenz und Kontrolle erleichtert. 3D-Druck wird das Beschaffen und Lagern bestimmter Teile erheblich reduzieren bzw. ersetzen und die Zugänglichkeit von Ersatzteilen einfacher gestalten. Vorteil: Der Einkauf wird früher als bisher von der Vertriebsplanung erfahren, an welchen Produktvarianten die Fertigung arbeitet und wie es um die Bestände bestellt ist.
Klar ist: Viele Bestellungen, heute mehr oder minder schon automatisiert, werden überflüssig. Dafür werden die Anforderungen an das Management von Lieferanten, Verträgen und Qualität, Marktbeobachtung, Global Sourcing und vor allem das immer wichtigere Risikomanagement steigen. Große Herausforderung wird es sein, die wesentlichen Lieferanten mit ins Boot zu holen. Und: Die Anforderungen an Mitarbeiter verändern sich, steigen in der Regel. Einkäufer müssen lernen, interdisziplinär zu arbeiten. Es gilt dringend, sich verstärkt mit IT-Fragen, Recht, Prozessmanagement und internationaler Vernetzung vertraut zu machen.
In vielen Unternehmen wird es lange Zeit parallele Prozesse – vollautomatisiert digitale neben herkömmlich analogen – geben. Denn wer Lieferanten in weniger entwickelten Ländern hat, kann dort ohnehin nicht vom gleichen IT-Niveau wie in der Heimat ausgehen. Hier sind weiterhin auf unbestimmte Zeit parallele Prozesse mit vielen Medienbrüchen angesagt.
Noch fehlen vielerorts technische Basissysteme für das Thema Supply Chain Management 4.0. Und viele Unternehmen wissen bisher generell nicht, wie sie aus Industrie 4.0 Profit generieren und welche Lösungen sie entwickeln sollen. Nach einer Studie der Unis in Würzburg und Leipzig verfügen 47,8% der Befragten über keine Industrie 4.0-Strategie, 38,1% haben allenfalls eine grobe Vorstellung und lediglich 9% eine konkretisierte Strategie. KMU liegen mit 54,9% ohne Strategie deutlich hinter den Großen (32,6%).
Fazit: Industrie 4.0 ist – auch für den Einkauf – so komplex, dass sich das Thema nicht nebenbei denken lässt. Lassen Sie es nicht einfach auf sich zukommen.
Hinweis: Bilden Sie eine „Task Force Industrie 4.0“. Ziehen Sie motivierte IT-affine Mitarbeiter aus allen Abteilungen hinzu. Implementieren Sie ein Wissensmanagement. Tauschen Sie sich zudem regelmäßig mit Ihren wichtigsten Lieferanten aus, um alle Beteiligten auf ein einheitliches Know-how-Niveau zu heben. Lassen Sie Querdenker zu. Gefragt sind Menschen mit der Fähigkeit des vernetzten Denkens und Handelns mit dem Blick fürs große Ganze.