Ganz Europa ist erleichtert über den Wahlsieg Emmanuel Macrons. Insbesondere Europa-Politiker jubeln, bewerten den Sieg als ein gutes Zeichen insbesondere für Europa. Ganz besonders freute sich der italienische Ministerpräsident Mario Draghi. Der erklärte, Macrons Sieg sei eine "großartige Nachricht für ganz Europa". Klar, Draghi bleibt der wichtigste Verbündete der finanziell-politischen Paris-Rom-Achse erhalten.
Frankreichs Spaltung nimmt zu
Macrons Wiederwahl zeigt mir vor allem, wie stark das Land gespalten ist. Die Wahlbeteiligung lag bei 63% und war um zwei Prozentpunkte geringer als zuvor. Nicht einmal zwei von drei Franzosen waren also überhaupt wählen - und das bei einem zur "Schicksalswahl" hochstilisierten Urnengang. Hinzu kommt: Macron hat deutlich weniger Stimmen bekommen als für fünf Jahren. Damals waren es 66%, diesmal 58,5%. Seine Gegnerin, die rechtsnationale Marine Le Pen steigerte sich von damals 35% auf diesmal 41,5%.
Das Wahlergebnis zeigt, dass die Spaltung der Gesellschaft in Frankreich unvermindert fortschreitet. Einerseits die Globalisierungsgewinner, meist städtische Akademiker. Andererseits die Verlierer dieser Entwicklung, die sich zu den Abgehängten zählen, deren Perspektiven sich verdüstern.
50-50-Gesellschaften mit Abstiegs-Ängsten
Das ist ein Phänomen vieler westlicher Gesellschaften. Ich sehe diese Spaltung genauso in Deutschland und in den USA. In allen drei Ländern nehmen die gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte zu. Die Spaltung zeigt sich bei vielen Themen. Diese Themen folgen akademischen Idealvorstellungen. Denen zufolge ist z.B. jede Einwanderung gut, Nachhaltigkeit um jeden Preis ist wichtig, Verzicht für die Rettung der Welt ist nötig (z. B. beim Fleischkonsum und in der Mobilität) und Gendern gehört zum guten Ton.
Die Lebensrealität der Mehrheit der Menschen ist aber eine andere. Eine zunehmende Anzahl von Menschen hat Angst vor dem sozialen Abstieg. Die rührt vom Arbeitsmarkt her, vom verschärften internationalen Wettbewerb. Die Erwartung, mit Bildung die Chance auf ein besseres Leben als die Eltern zu haben, kann nicht mehr wie früher aufrecht erhalten werden. Das Vertrauen in den Sozialstaat sinkt. Die Sorgen vor Altersarmut oder mangelnder Gesundheitsversorgung - insbesondere im Alter - nehmen zu. Der Glaube daran, das dies alles zu finanzieren ist, schwindet merklich. Auch die Bereitschaft zum persönlichen Verzicht ist darum nicht besonders ausgeprägt.
Politiker regieren an Bedürfnissen vorbei
Im Kern, so mein Eindruck, regiert die Politik am Volk vorbei. Es werden Themen von einer akademischen und politischen Elite gesetzt, die nichts mit den Bedürfnissen und Ängsten der meisten Menschen zu tun haben. Problematisch ist dabei, dass Politiker immer seltener mehrheitsfähige Antworten finden, einsame Entscheidungen treffen (Wehrpflicht, Atomausstieg, Rüstungsmilliarden) und offene gesellschaftliche Diskurse seltener stattfinden.
Genauso schwierig ist, dass viele Medien nicht mehr dazu beitragen, zu vermitteln, sondern ebenfalls spaltend wirken. Besonders sichtbar war das in der Corona-Krise. Auch im Ukraine-Krieg dominiert Schwarz-Weiß-Denken. Die Ukraine ist gut, Russland böse. Die Rollen sind klar verteilt. Es herrscht Schwarz-Weiß-Denken, Grautöne soll es nicht geben. Das ist für mich einer der größten Widersprüche. Denn einerseits wird Vielfalt gepredigt, andererseits sollen möglichst alle Menschen ähnliche Ansichten und Meinungen haben. Wer anders denkt, denkt oft gleich quer oder wird als Was-auch-immer-Versteher stigmatisiert.