Endlose Unsicherheit
Theresa Mays Entscheidung zu vorgezogenen Neuwahlen lässt auf Kompromissbereitschaft bei den EU-Austrttsverhandlungen hoffen.
Großbritannien steuert immer deutlicher auf eine Situation zu, wie sie Westberlin nach dem 2. Weltkrieg erlebt hat. Ein Land im entscheidungslosen, luftleeren Raum, dessen Unternehmen ihre Sitze mehr und mehr in Länder mit klarem Rechtsrahmen verlegen. Die Entscheidung der Premierministerin, nun doch eine vorgezogene Neuwahl durchzuführen, wird dies nicht verhindern. Zumal ihre Beweggründe unsere Erwartung einer lang dauernden Hängepartie in den Verhandlungen mit der EU nur bestärken. Theresa Mays Ziel sei es, so heißt es in London, die Zahl der konservativen Abgeordneten zu erhöhen. Es soll in Parlamentsabstimmungen auch noch für eine Mehrheit reichen, wenn die Brexit-Hardliner alle gegen May stimmen. Dazu braucht sie mindestens 25 zusätzliche Sitze. Das heißt übersetzt: May will auf keinen Fall einen schmutzigen Brexit. Also einen Austritt ohne rechtliche Neuregelung der Beziehungen zur EU. Auch will sie vermeiden, dass künftige Abmachungen mit Brüssel 2019 zur Entscheidung stehen. Sie wären in eine Zeit gefallen, in der sich der normal-terminierte Wahlkampf für 2020 schon bemerkbar gemacht hätte. Auf den Kompromisskurs ist Frau May schon eine Woche vor der Wahlentscheidung eingeschwenkt. Sie hat bereits den Wunsch geäußert, dass wichtige EU-Behörden, die in London ansässig sind, dort bleiben sollen, wenn das UK die EU verlässt. Das betrifft vor allem die Bankenaufsicht und die Pharma-Regulierung. Realistisch ist das Ansinnen nicht. Brüssel ist wiederum zu harten Schnitten und kompromisslosen Verhandlungen strukturell nicht fähig. Die 27 Rest-Staaten haben zu unterschiedliche Interessenlagen. Doch Kompromissfindungen in und mit der EU sind extrem langwierig. Da beide Seiten von vornherein eine harte Gangart ausschließen, werden die Verhandlungen lang und zäh. 2019 wird es somit den offiziellen Austritt Großbritanniens aus der EU geben, ohne dass viel passiert. Dann hat die liebe Briten-Seele ruh. Und solange keine neuen Verträge verhandelt sind, werden die alten einfach weiter gelten. Hier werden beide Seiten entsprechende Übergangsregelungen vereinbaren. Die britische Wirtschaft setzt folglich – erstmals seit dem Referendum – auf einen großen Kompromiss zwischen EU und UK.
Fazit: Dennoch werden die Unternehmen rechtlich keine Sicherheit haben. Das wird sich auf ihre Investitionen und strategischen Planungen auswirken. Das Westberlin der Nachkriegszeit lässt grüßen.