Die Steueroase Gibraltar wirbt intensiv um Europas Reiche. Doch es zittert vor einem EU-Austritt Großbritanniens. Das britische Überseegebiet am Südzipfel der Iberischen Halbinsel muss sich davor fürchten, in Europa gänzlich isoliert zu sein, wenn die „Schutzmacht“ nach einem Referendum aus der Gemeinschaft austreten sollte. Die Beziehungen zum direkten Nachbarn Spanien sind angespannt. Wer die Grenze überschreiten will, fühlt sich angesichts der überlangen Abfertigungszeiten schikaniert. Das 30.000-Seelen-Territorium zieht besonders Finanzdienstleister an. Gründe sind sein günstiger Körperschaftsteuersatz von 10% und Sondersteuersätze für Millionäre und „Gastarbeiter“ mit besonderen Fähigkeiten. Es gibt weder eine Mehrwert- noch Kapitalertrags-, Vermögens-, Erbschafts- oder Schenkungssteuer. Gerade Schweizer Privatbanken und Vermögensverwalter siedeln sich verstärkt in Gibraltar an. Denn wegen dessen EU-Mitgliedschaft via Großbritannien können dort domizilierte Finanzdienstleister Kunden in der EU „bearbeiten“ und ihre Produkte vermarkten (Passporting). Von der Schweiz aus dürfen sie das nicht. Verlässt Großbritannien die EU, entfällt auch das Privileg für Gibraltar. Das könnte den heute schnell wachsenden Finanzplatz in eine ernste Krise stürzen. 8,7 Mrd. Euro werden auf Gibraltar verwaltet. Allerdings: unversteuerte Gelder haben dort schon heute keinen Platz mehr. Gibraltar hat Abkommen zum automatischen Informationsaustausch mit 27 Staaten abgeschlossen. Weitere werden folgen. Dies kann also kein Anlegermotiv für den Gang auf den iberischen Südzipfel (mehr) sein.
Fazit: Auch wenn Gibraltar eine aggressive Anwerbungspolitik für Wohlhabende betreibt und mit extrem attraktiven Steuersätzen lockt: Als Daueraufenthaltsort bietet es wenig und könnte bei einem EU-Austritt der Briten wirtschaftlich schnell wieder abgehängt werden.