Im Lande Mordor
Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dürfte, zumal als siebenfache Mutter, das Werk des Briten Tolkien kennen. Sie hat am Wochenende gleich zweimal eine Anleihe daraus entnommen. „Die vielen Milliarden, die heute investiert werden müssen, um eine größere Katastrophe abzuwenden, werden Generationen binden.“ So könne auch in der Krise das Gefühl der Gemeinschaft unter den Nationen Europas erneuert werden, glaubt von der Leyen. Es geht dabei, natürlich, um Corona – was übersetzt Kranz oder Ring bedeutet.
Schulden als Bindemittel: Was für ein Missgriff
Die Corona-Schulden als der Ring, der uns alle bindet. Europa als Mordor. Das ist missglücktes politisches Story telling. Der Ring in Tolkiens Saga zieht alle, die ihn tragen, nach unten. Er vernebelt den Verstand. Am Ende vereinen sich zwar die freien Völker von Mittelerde. Doch nur, um sich von seinem Joch zu befreien und ihn ins vulkanische Feuer des „Schicksalsberges“ zu werfen, in dem er geschmiedet wurde. Freilich nach langem Kampf unter unendlichen Schmerzen und Leid. Danach zieht jeder seines Weges.
„Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn“, heißt es bei Tolkien. In Europa sind es stets die Schatten der Vergangenheit. Der italienische Europaabgeordnete und ehemalige Vizeminister Carlo Calenda hat sie mal wieder zum Leben erweckt. Er hat auf den Londoner Schuldenerlass für Deutschland nach dem 2. Weltkrieg verwiesen. Er diente schon während der Finanzkrise vor zehn Jahren als Argument für eine großzügige Behandlung Griechenlands. Jetzt möchte Italien mit dem Verweis auf die Geschichte europäische Gemeinschaftsanleihen durchsetzen.
Man kann die Zukunft nur mit einer positiven Erzählung gewinnen. Von der Leyen tut das Gegenteil. „Mordor Europa“, eine durch eine überbordende Schuldenlast auf Gedeih und Verderb zusammengeschmiedete Schicksalsgemeinschaft, ist jedenfalls das Letzte, was ich mir für meine und die Zukunft meiner Kinder wünsche. Dennoch unverdrossen zuversichtlich grüßt Sie Ihr Ralf Vielhaber