Der EU-Gipfel am Donnerstag wird eine Zeitenwende für die Europäische Union bringen. Die Gewichte in der Union werden sich entscheidend verschieben. Denn die beiden großen Führungsnationen – Deutschland und Frankreich – zeigen sich gelähmt. Stattdessen werden ausgerechnet die geschmähten Visegrad-Staaten – Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei – eine Führungsrolle übernehmen. Das wird ihr Selbstbewusstsein dauerhaft stärken und dazu führen, dass sie in Zukunft deutlicher gehört werden wollen.
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wird mit ihrer Forderung nach Flüchtlingskontingenten isoliert dastehen. Sie kommt als Bittstellerin und wird mit leeren Händen davonziehen. Ausgerechnet Frankreichs Premierminister Manuel Valls hat kurz vor dem Gipfel die schwache Position der Kanzlerin zusätzlich torpediert. Er gab zu Protokoll, dass Frankreich Quoten ablehnt und maximal 30.000 Flüchtlinge aufnehmen wird.
Die Osteuropäer werden auf befestigte Grenzsicherungen drängen – und sich damit durchsetzen. Faktisch wird die EU-Außengrenze vor die Tore Griechenlands an die Grenze Mazedoniens verlegt. Das Land hat bereits seine Bereitschaft bekundet, diesbezügliche Hilfe Europas entgegenzunehmen.
Die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker wird dem Machtspiel tatenlos zusehen müssen. Mehr als flehentliche Bitten, dem europäischen Wertekanon zu genügen, konnte Brüssel in der Sache bisher kaum aufbieten. Italien und Spanien wiederum haben sich hinter den Osteuropäern verschanzt. Sie wollten nicht in gleicher Weise „unmenschlich“ auftreten, sind aber ebenso wenig bereit, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen.
Fazit: Merkel kann froh sein, dass mit den Osteuropäern jemand das Heft des Handelns in der EU übernimmt. Das ist ihre einzige Chance, den Flüchtlingszustrom zu stoppen. Mit ihren eigenen Vorhaben, die Türkei und Frontex für ihre Zwecke zu aktivieren, ist sie schon gescheitert.