Der neue französische Ministerpräsident Manuel Valls hat bei seinem Besuch in Berlin einen besseren Eindruck hinterlassen, als man nach außen wahrnehmen konnte. Zwar dominierte in der deutschen Öffentlichkeit die mehr oder weniger unverhohlene Kritik der Bundesregierung am bislang orientierungslosen Kurs von Präsident François Hollande, die auch Valls entgegenschlug. Doch der 52jährige „rechte“ Sozialist hatte konkrete Maßnahmen im Gepäck, die tatsächlich die wirtschaftliche Umkehr beim siechen Nachbarn einläuten könnten – wenn sie in den nächsten Monaten umgesetzt werden. Was zählt, so Valls‘ Leitspruch, ist Effizienz, nicht Ideologie. Seine Maßnahmen im Einzelnen:
Von großer symbolischer Bedeutung für die Wirtschaft dürfte sein, dass 2015 der konfiskatorische Spitzensteuersatz von 75% ausläuft. Die Maßnahme hatte etliche reiche Familien außer Landes getrieben, besonders nach Belgien und London.
Die Lohnzusatzkosten (Sozialabgaben) will Valls bis 2015 um 10% kürzen. Dies soll einen spürbaren Beschäftigungseffekt auslösen. Zugleich werden Staatseinnahmen in Höhe von 21 Mrd. Euro zugunsten des privaten Sektors frei.
Den Dienstleistungssektor will Valls liberalisieren. Notare und Apotheker verlieren ihre Monopole. Aspirin kann dann auch der Einzelhandel verkaufen.
Das 3.648 Seiten starke Arbeitsgesetzbuch will Valls entschlacken. Viele Vorschriften setzen bei Firmen mit einer Mitarbeiterzahl von 50 ein.
Zudem zerpflückt Valls das Mietpreisbremsengesetz der zurückgetretenen Bauministerin Cécile Duflot. Es hatte zu einem Einbruch bei den Neubauzahlen geführt (um ein Viertel seit Januar).
Valls klopfte nicht nur in Berlin an, um die Bundesregierung von der Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu überzeugen. Heute (6.10.) ist er aus gleichem Grund in London bei David Cameron. Er braucht vor allem Rückendeckung für das anhaltend hohe Defizit, das Frankreich produziert. Brüssel wetzt diesbezüglich bereits die Messer, nachdem Paris schon mehrfach Aufschub für das Erreichen der vereinbarten Ziele erhalten hatte. 2014 wird es 4,4% betragen, im letzten Jahr waren es 4,3%.
Die Chance war noch nie so groß wie jetzt, dass Frankreich die Dinge endlich anpackt. Präsident Hollande steht so schlecht da, wie noch nie ein französischer Präsident – mit 13% Zustimmung in der Bevölkerung. Nicolas Sarkozy will sich 2017 für die Niederlage von 2012 revanchieren – auch das kann Hollande nur antreiben. Zudem gibt es einen Stimmungswechsel in der Bevölkerung. Langsam fällt dort der Groschen, dass der Staat die öffentlichen Services nicht weiter nur auf Pump zusichern kann. Und 61% der Franzosen meinen, dass die 35-Stunden-Woche nach oben hin angepasst werden sollte.
Außerdem stehen Valls Mitstreiter mit wirtschaftspolitischem Sachverstand zur Seite. Laurence Boone war früher Volkswirtin bei der Bank of America Merill Lynch. Sie ist Wirtschaftsberaterin von Präsident Hollande. Jean-Pierre Jouyet war Europaminister unter Nicolas Sarkozy und ist jetzt Stabschef im Präsidialamt. Der Wirtschaftswissenschaftler Jean Pisani-Ferry war zuvor Chef des europäischen wirtschaftspolitischen Thinktanks Bruegel. Er leitet Valls‘ wirtschaftspolitische Strategieeinheit.
Fazit: Berlin wird die Kröte eines höheren französischen Defizits schlucken, um Valls den politischen Spielraum zu geben, den er für die Umsetzung seiner Vorhaben braucht. Allerdings ist dies auch die letzte Chance eines von Hollande eingesetzten Kabinetts, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und Zugeständnisse zu erhalten.