Vorrang für Europa
Die EU-Kommission eröffnet den Kampf gegen die US-Dominanz der Internetwirtschaft. Der Ausgang ist jedoch offen.
Das Bußgeld-Verfahren der EU-Kommission gegen Google ist eine Kampfansage Europas gegen die Dominanz der US-Internetwirtschaft. Nachdem das EU-Parlament im Januar die Zerschlagung des Suchmaschinen-Riesen angedroht hatte, wird die Auseinandersetzung langsam ernst. Brüssel will das boomende Internetgeschäft nicht den Amerikanern überlassen. Dem Suchmaschinenbetreiber wirft die EU vor, in den Trefferlisten eigene Dienste – etwa Preisvergleiche beim Online-Shoppen – zu bevorzugen. Damit hat sich Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft, in der Kommission mit seiner härteren Gangart durchgesetzt. Auf seiner Seite steht die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Sie führt das Google-Verfahren und wird sich das Smartphone-Betriebssystem Android von Google auch gleich vorknöpfen. Oettinger will eine digitale „Festung Europa“ errichten. EU-intern sollen die Grenzen fallen und einheitliche Standards, etwa für Datenschutz und Industrie 4.0, geschaffen werden. Den Amerikanern sollen die lukrativen Fangzüge in Europa aber erschwert werden. Oettinger will ihnen europäische Internet-Konzerne entgegensetzen. So unterstützt er die europäischen Telekom-Unternehmen bei der Konsolidierung. Dafür ist Oettinger bereit, etwa die Netzneutralität zu opfern und einzelnen Großanbietern Vorfahrt einzuräumen. Auch den Zugang zu Daten will er nur europäischen Unternehmen gestatten. Es ist ein Bohren dicker Bretter. Oettinger muss 28 EU-Länder in so komplexen Fragen wie dem Datenschutz und dem Verbraucherrecht auf einen Nenner bringen. Während Frankreich bei seiner industriepolitischen Strategie mitzieht, schießen die Briten dagegen – schon aus Solidarität mit den USA. Oettinger wirft der US-Regierung vor, zusammen mit dem Silicon Valley ihre digitale Weltmacht auszubauen. Ein neues Eilverfahren für den digitalen Binnenmarkt soll die EU-Entscheidungsprozesse beschleunigen. Die Digitalwirtschaft könne nicht wie das Weinbaurecht mit den EU-typischen zahllosen Abstimmungsschleifen und Instanzen behandelt werden. Die Richtlinie für audiovisuelle Medien soll als Testfall für Oettingers Eilverfahren dienen. Dabei wird auch geprüft, ob es verfassungsrechtlich solide konzipiert ist.
Fazit: Oettinger verfolgt eine große industriepolitische Linie und will den USA auf Augenhöhe begegnen. Für seinen Erfolg wird entscheidend sein, ob er hier die Trägheit und Uneinigkeit der EU-Staaten überwinden kann – was sehr schwer werden wird.