Warum Putin gestärkt aus dem Wagner-Aufstand hervorgeht
Der Putsch-Versuch des PMC Wagner könnte sich noch als großes Täuschungsmanöver entlarven. Denn es gibt einige Entwicklungen, die nicht gut ins Bild eines ernst gemeinten Putsch-Versuches passen. Vielmehr deutet manches darauf hin, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver gehandelt haben könnte. Oder dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Situation zumindest geschickt für sich nutzt. Ein Überblick:
Das Offensichtliche:
Es gab einen Putschversuch durch das PMC Wagner. Dabei haben die Söldner sehr eindrucksvoll ihre Kampfkraft und logistische Fähigkeiten demonstriert - auch gegenüber dem Westen. Sie haben ein russisches Armeeflugzeug und einen Kampfhubschrauber abgeschossen. Außerdem haben sie die Großstädte Woronesch und Rostow am Don besetzt und abgeriegelt. Sie sind binnen kurzer Zeit um fast 800 Kilometer bis auf 200 Kilometer vor Moskau vorgerückt. Dann wurde der Putsch schnell beendet, die Wagner-Söldner zogen sich nach Weißrussland zurück. Putin scheint intern angeschlagen zu sein.
Entwicklungen im Hintergrund:
- Angeblich wussten sowohl Putin als auch die US-Geheimdienste, dass Wagner eine größere Aktion in Richtung Russland planten. Es ist möglich, dass der "Marsch der Gerechtigkeit" keine Überraschung war.
- Jewgeni Prigoschin hat immer betont, russischer Patriot zu sein. Sein Ziel sei nicht, Putin zu stürzen. Es gehe darum, die Militärführung abzusetzen. Die Wagner-Truppen wurden von den Russen mit offenen Armen empfangen.
- Innerhalb weniger Stunden hatte sich Prigoschin über Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko auf einen Deal mit Putin eingelassen. Prigoschin hat aber keine Garantie, eines seiner Ziele zu erreichen. Dass Putin blufft, ist unwahrscheinlich. Er würde Prigoschin damit nur zu einer weiteren Aktion herausfordern. Würde es Prigoschin ernst meinen, hätte er den Putsch vermutlich so lange fortgesetzt, bis er sein Ziel definitiv erreicht hat - oder er hätte Putin zu massiver Militärgewalt in ein Blutbad in Russlands gezwungen. Das hätte Putin ins Wanken gebracht.
- Vermutlich gibt es also einen ernst zu nehmenden Deal. Dazu passt, dass die Ermittlungen wegen Verrats gegen Prigoschin gestoppt wurden. Gegen Verteidigungsminister Sergei Schoigu wurden dagegen Untersuchungen wegen Verrat und Korruption eingeleitet. Er soll bereits Sonntag vom russischen Geheimdienst festgesetzt worden sein. Sichtbar war er seit Putsch-Beginn nicht. Das Video von einem Truppenbesucht heute (Montag) ist eine "Konserve".
Das Ergebnis:
- Prigoschin liefert Putin eine Gelegenheit, die Militärführung auszutauschen. Verteidigungsminister Schoigu steht schon länger unter Druck. So kann auch seine Rede zur Lage der Nation von Samstag früh verstanden werden (vgl. FUCHS-Livestream von Samstag).
- Putin kann neue Hardliner installieren, die ihm nähere Verbündete sind als Schoigu. Es gibt viele Menschen in Russland, die sich ein härteres Vorgehen in der Ukraine wünschen. Putin stabilisiert somit seine Macht in der Regierung und im Volk.
- Es gelingt Russland, die Wagner-Truppen, die die Großstadt Bachmut erobert haben, in großem Stil nach Weißrussland zu verlegen. Zwischen 10.000 und 25.000 Mann sollen an dem "Putsch" mit über 4.000 Fahrzeugen und Panzern beteiligt gewesen sein. Diese Truppen sind jetzt zu einem großen Teil nach Weißrussland verlagert. Von dort sind es nur 100 Kilometer bis nach Kiew. Prigoschin hat stets betont: "Sobald die Militärführung ausgetauscht ist, kehren wir kampfbereit an die Front zurück - egal, wo wir gebraucht werden."
- Der Putsch könnte somit ein enormes Täuschungsmanöver gewesen sein. Eine "offene" Verlagerung der Truppen wäre sehr schnell bemerkt worden, die Motive wären hinterfragt worden, die Alarmglocken in Kiew hätten schnell geläutet. Jetzt ist die Truppenverlagerung das "Ergebnis eines chaotischen Putsch-Versuchs". Ein solches Vorgehen passt gut zu Putin, der viel mehr Geheimdienstmann ist als Politiker, dem sein persönliches Ansehen im Westen wichtig ist.
Ausblick:
Der Wagner-Chef hat Putin herausgefordert - aber beide haben gewonnen. Putin festigt seine Macht, Prigoschin arbeitet mit Wagner PMC weiter im Auftrag Moskaus. Einen groß angelegten Wagner-Angriff auf Kiew halten wir für unwahrscheinlich. Es ist aber denkbar, dass die Wagner-Truppen wie in den ersten Kriegstagen mit gezielten Aktionen nach Kiew vorstoßen. Das könnte dazu dienen, die Verhandlungsbereitschaft der Regierung Selenkyj "zu forcieren".
Fazit: Ob die Ereignisse am Samstag in Russland ein echter Putschversuch waren, wird erst die Zukunft zeigen. Es gibt aber einige Entwicklungen, die darauf hindeuten, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Putin jedenfalls hat diese Situation überstanden und dürfte intern gestärkt aus ihr hervorgehen. Der Ukraine-Krieg könnte sich in absehbarer Zeit nochmals verschärfen.
Hinweis: Die relevanten Entwicklungen am Samstag hatten wir laufend online analysiert und kommentiert. Den Bericht finden Sie hier: https://www.fuchsbriefe.de/update-24.06.-um-2258-uhr-putsch-in-russland