Die Beruhigung der Euro-Krise lässt den Reformeifer und die Kompromissbereitschaft in Europa gefährlich erschlaffen. Die Einigung zur Bankenunion wird auf absehbare Zeit das letzte große Reformwerk in der Eurozone bleiben. So ist die Bankenunion zwar politisch beschlossen, ihr wichtigstes Ziel – das Einspringen von Steuerzahlern bei Bankpleiten – erreicht sie aber nicht. Trotz Aufsicht, Abwicklungsmechanismus und Restrukturierungsfonds werden bei systemischen Krisen auch weiterhin die europäischen Steuerzahler für Bankenverluste aufkommen müssen. Die veranschlagten 55 Mrd. Euro für den Bankenrettungsfonds sind viel zu wenig, um die dann anfallenden Verluste aufzufangen – zumal er frühestens in acht Jahren vollständig gefüllt sein wird. Großbanken bleiben also „too big to fail“ (s. Seite 3). Zur Erinnerung: Seit dem Lehman-Crash 2008 haben die EU-Staaten rund 3,2 Billionen Euro (inkl. Bürgschaften) in ihre Finanzsektoren gepumpt. Kommt es zu einer neuen Krisen-Eskalation, werden die Eurostaaten anders als 2008 nicht mehr zu einem solchen Kraftakt in der Lage sein. Dies ließe sich nur bewerkstelligen, wenn die Euro-Staaten eine Lösung für die Staatsschuldenproblematik finden würden. Allerdings hämmerte eine Expertengruppe der EU-Kommission am Dienstag die Sargnägel in die Projekte Schuldentilgungsfonds und Eurobills. Diese seien nicht ohne eine Änderung der EU-Verträge realisierbar – und eine solche ist momentan so ziemlich das Letzte, was in der EU mehrheitsfähig ist. Die für eine Vertragsveränderung nötige Kompromissbereitschaft der Euro-Regierungen tendiert aber gen Null. Italien und Frankreich sind nicht mehr bereit, dem deutschen „Fiskal-Fetischismus“ zu folgen. Sie wollen sich nicht durch die verbindlichen Schulden- und Defizitgrenzen noch weiter in die Krise zu sparen, sondern die Staatsausgaben zur Abfederung der notwendigen Reformen erhöhen (s. Seite 2). Ihnen sind die Probleme von heute (Arbeitsmarkt, Konjunktur) wichtiger als die von morgen (Staatsschulden). Aller Voraussicht werden sie daher den Fiskalpakt brechen. Auf der Gegenseite blockiert Deutschland alle Pläne für eine gemeinsame Schuldenaufnahme. Diese wäre nach heutigem Stand der Dinge der einzige gangbare Weg für eine Reduktion der Staatsschulden in den Krisenländern. Ohne verbindliche Regeln will Deutschland diesen allerdings nicht zustimmen.
Fazit: Das Resultat dieser unterschiedlichen Haltungen in Europa ist Reformstillstand. Projekte wie der Wettbewerbspakt, eine Insolvenzordnung für Staaten, eine Investitionsoffensive in der Peripherie und eine gemeinsame Schuldenaufnahme liegen auf Eis. Eine erneute Kriseneskalation dürfte Europa daher fast genauso ungeschützt treffen wie die letzte – mit dem Unterschied, dass die Eurostaaten bereits viel Pulver zur Krisenintervention verschossen haben und wieder von der Not getrieben handeln müssen.