Grüne Mission Kanzleramt
Die Grünen melden seit der Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatin den Anspruch auf die Führung des Landes an. Sie erfüllen eine riesige Sehnsucht nach Führung, die in der Corona-Politik sichtbar wurde. Das zähe Ringen um den richtigen Weg, um harte Entscheidungen hat immer wieder zu langen Verhandlungen und müden Kompromissen geführt. Die Grünen, die immer wieder für schärfere Lockdown-Maßnahmen plädiert haben, sind derzeit die großen Gewinner.
Die Grünen wollen zwar führen, aber nicht die damit verbundene Verantwortung übernehmen – jedenfalls nicht vor der Wahl. Das zeigt ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag, z. B. zum umstrittenen 4. Infektionsschutzgesetz. Als einzige Partei haben sie sich vollständig enthalten oder nicht abgestimmt. Sie haben das Gesetz als viel zu schwach kritisiert, es aber nicht abgelehnt. Zugleich haben sie ihm jedoch nicht zugestimmt, obwohl es das Maximum war, was im Sinne des Infektionsschutzes in der Situation erreichbar war. Auch bei der wichtigen Abstimmung über den Nachtragshaushalt am 23.4. haben sich die Grünen enthalten.
Positionslos ins Kanzleramt
Das hat System und zeigt, dass die Grünen das politische Spiel verstanden haben. Sie verfolgen ihre "Mission Kanzleramt" mit Positionslosigkeit. Das ist ihre Chance, sich ins Kanzleramt zu "merkeln". Denn wer Positionen bezieht, macht sich angreifbar. Darum versuchen sie, konkrete Themen zu meiden. Dazu gehört die beschleunigte und scharf verteuerte Energiewende, die vielleicht dazu führt, dass wir künftig Atomstrom aus Frankreich kaufen, der dann aber aufgrund der EU-Taxonomie auch grün ist. Ebenso beiseite gelegt: Schuldenbremse, autofreie Städte usw. Die etablierten Medien helfen bei der selektiven Wahrnehmung vielfach mit, wie der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer treffend analysiert.Führen heißt entscheiden - und die Konsequenzen tragen. Wer führt, übernimmt Verantwortung - aber nicht nur für die Dinge, die er tut, sondern auch für die Dinge, die er nicht tut. Dazu braucht es klare Positionen. Die werden wir von den Grünen aber erst nach der Wahl wieder sehen. Ihr Stefan Ziermann