Bildungspolitik auf dem Boden der Tatsachen
Lange war die Akademisierung Ideal der Bildungspolitik. Nun schwenkt die Bundesregierung um.
Die deutsche Bildungspolitik nimmt Abschied vom Akademisierungswahn. Das kündigte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) in Berlin an. Ursache sind die stark steigenden Abbrecherquoten an den Universitäten. Bei den Ingenieurwissenschaften beenden mittlerweile 48% nicht ihr Bachelorstudium, bei den anderen Studiengängen sind es 35%. Offenbar haben viele Studenten weder Begabung noch Ausdauer. Der Akademisierungstrend ist eine riesige Ressourcenverschwendung. Alle Studien gehen davon aus, dass der Bedarf an Hochschulabsolventen bis 2025 maximal 20% eines Jahrgangs beträgt, was nur wenig über dem aktuellen Stand liegt (18%). Seit Jahren arbeitet die Politik auf eine steigende Zahl von Akademikern hin: Eine Quote von 40% forderte etwa der Bundesbildungsbericht. Die Folge: Aktuell tummeln sich 2,22 Millionen Hochschüler an den Universitäten. Die Studienanfängerquote liegt bei 57,3% (2006: 35,6%) auf Rekordniveau. Das geht am Bedarf der Wirtschaft vorbei. Den Industrie- und Handwerksbetrieben gehen derweil die Lehrlinge aus. Weil die Schulabgänger der geburtenschwachen Jahrgänge ins Hochschulstudium gedrängt werden, ist die duale Ausbildung massiv gefährdet. Die Wirtschaft sei aber auf eine hochwertige Facharbeiter- und Meisterausbildung angewiesen, kritisiert der DIHK. Dieser Fehlentwicklung will die Bundesregierung nun gegensteuern. In die Berufsberatung wird massiv investiert (1 Mrd. Euro bis 2017). Schülern soll die Lehre schmackhaft gemacht werden. Studienabbrecher sollen leichter in eine Lehrausbildung wechseln können. Die fehlerhaften Empfehlungen der OECD werden von Wanka nicht mehr ernst genommen. Die Bildungsreports der OECD preisen seit jeher die hohen Akademikerquoten in den angelsächsischen Ländern als Vorbild an. Doch gerade in Großbritannien ist die Jugendarbeitslosigkeit viermal so hoch wie in Deutschland mit seiner dualen Ausbildung. In Deutschland ist die Arbeitslosenquote von angestellten Meistern (2,1%) sogar nur halb so hoch wie die der Akademiker (5,1%). Diese Erfolge zwangen die OECD jüngst zum Einlenken. Sie lobte Deutschlands „Fortschritte“. Vom Akademisierungskurs will der behäbige Pariser Thinktank dennoch nicht ablassen.
Fazit: Die Abkehr vom Akademisierungsideal war überfällig, wird aber in der Praxis einige Zeit dauern. Die Unternehmen sollten die Initiative der Bundesregierung nutzen, um die duale Ausbildung wieder attraktiver zu machen.