Martin Schulz kann zeigen, ob er den Willen zur Macht hat
Keine Neuwahlen voraus – so viel ist wenige Tage nach dem Platzen der Jamaika Sondierungs-Verhandlungen sicher. Mit dem sofortigen Ruf nach einem neuen Urnengang haben sich die SPD-Vorderen, Parteichef Martin Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles, blamiert. Der Wähler hat seinen Willen ja gerade erst an der Wahlurne kundgetan. Das hat SPD-Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier richtig erkannt und den Neuwahlbefürwortern in SPD und CDU (u.a. Kanzlerin Angela Merkel) die Leviten gelesen. Denn die parlamentarische Demokratie bietet noch einige – wenn auch unbequeme – Möglichkeiten. In Social Media gibt es bspw. eine Mehrheit für eine Minderheitsregierung statt Neuwahlen.
Die SPD ist jetzt das Zünglein an der Waage. Doch sie weiß selbst noch nicht, wie es mit ihr weitergehen soll. Soll sie sich jetzt doch zu einer neuerlichen GroKo breitschlagen lassen, wie es der konservative Seeheimer Kreis vorzieht? Oder hat sie die Kraft zu widerstehen, die Union in eine von ihr geduldete Minderheitsregierung zu zwingen und taktisch zu versenken? In der SPD werden gerade die Optionen taxiert.
Neuauflage der GroKo
Eine Neuauflage der Großen Koalition hat einige Bequemlichkeitsvorteile. Immerhin locken trotz miserablem Wahlergebnis eine Reihe „Partner-Boni": zusätzliche Ministerämter und Staatssekretärsposten. Und in vier Jahren scheiden etliche Abgeordnete wieder in den „wohlverdienten Ruhestand" aus. Die Folgen der nächsten GroKo tragen die Nachrücker.
Schmied oder ewig Schmiedel, das ist die eigentliche Entscheidung des Martin Schulz. Eine Duldung der fortgesetzten Merkel-Kanzlerschaft durch die SPD ist die Option für einen Machtpolitiker. Für jemanden, der wirklich selbst Kanzler werden will. Denn das würde für die Sozialdemokraten eine äußerst vielversprechende Situation schaffen.
- 1. Die Sozis ersparen sich den Makel des Umfallers.
- 2. Die SPD gibt dem Bundestag die Opposition zurück.
- 3. Die SPD regiert mit. Sie muss nur da Verantwortung übernehmen, wo sie es will und es ihr guttut.
- 4. Merkel wird eine Kanzlerin von Schulz' Gnaden. Sie muss bei jedem Gesetzesvorhaben beim lieben Martin Klinke putzen – oder sich bei Grünen und FDP oder Linke und AfD eine Mehrheit verschaffen.
- 5. Wenn Schulz es will, kann er die Union – wie einst Oskar Lafontaine als Oppositionsführer in der zweiten Hälfte der 90er Jahre – am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Danach wurde Gerhard Schröder Kanzler, Helmut Kohl musste gedemütigt abdanken.
- 6. Schulz kann im Bundestag als Oppositionsführer auftrumpfen. Dass er mit großer Geste auftreten kann, hat er im Europaparlament bewiesen.
- 7. Der Weg zur Kanzlerschaft ist kurz. Denn dass die Minderheitsregierung die Bayernwahl im September mit einer voraussichtlich schweren Niederlage der CSU übersteht, ist äußerst unwahrscheinlich. (Derzeit kann Merkel als geschäftsführende Regierungschefin kein Misstrauensvotum im Bundestag stellen).
Steinmeier wäre Übervater
In der Regierung kann die SPD das alles nicht. Steinmeier würde zum Übervater der SPD, Schulz endgültig zum Hampelmann. Die CDU hätte den Mehrheitsbeschaffer, der noch dazu voll mit in der Verantwortung steht und sich nicht recht profilieren kann.
Muss die Union die SPD für die GroKo gewinnen, muss sie erhebliche Konzessionen machen. Die Wirtschaftsverbände, die „bloß keine Minderheitsregierung" rufen, würden dieser Option womöglich noch nachtrauern.
Fazit: Die Entscheidung der SPD wird den wahren Charakter und Machtwillen von Martin Schulz (und Andrea Nahles) offenbaren.