„Wie viel Geld benötige ich eigentlich?“ Die Antwort ist nicht nur wesentlich für einen komfortablen Ruhestand. Sie ist fachlich komplex. Denn viele Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Die Eheleute Kronau sind 55 Jahre alt und möchten in sieben Jahren in Rente gehen. Das Unternehmerpaar hat dafür vorgesorgt. Sie haben ein Wertpapierdepot und mehrere Lebensversicherungen. Mitte 2022 werden summa summarum 1.900.000 Euro zur Verfügung stehen. Die kann das kinderlose Ehepaar dann vollständig für seine Altersversorgung verwenden.
Nach Kronaus Berechnungen müsste das Geld reichen. Für Lebenshaltungskosten, Versicherungen, Reisen, Kleidung und „Risikopuffer“ kalkulieren sie mit einem monatlichen Finanzbedarf von 6.000 Euro. Ihre Rechnung: Wenn wir 72.000 Euro pro Jahr ausgeben, reicht das Kapital ohne Verzinsung mehr als 26 Jahre. Wenn noch Ertrag dazu kommt, ist noch genügend Puffer da. „Und älter als 90 werden wir sowieso nicht“.
Doch ein Finanzplaner bringt sie zum Nachdenken. Die Lebenserwartung wird häufig falsch eingeschätzt. Vom Sterbealter des Durchschnitts wird auf die eigene Lebensdauer abgeleitet. Der statistische Wert hat aber keine Relevanz, sondern führt in die Irre.
Zudem unterliegen Kronaus dem Irrtum, dass die Lebenserwartung sinkt, je älter man wird. Das Gegenteil ist der Fall. Ein heute 45-Jähriger wird nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamts 85,5 Jahre alt. Hat er jedoch die 70 Lenze erreicht, ist die Lebenserwartung bereits auf 88,6 Jahre gestiegen. Ein 85-Jähriger wird im Durchschnitt sogar 93 Jahre alt. Deshalb gilt als plausibler Planungswert das Endalter 100.
Ebenso unterschätzt wird die Wirkung der Inflation. Kronaus hatten ohne Zinsen gerechnet. Sie meinten, die Inflation damit implizit berücksichtigt zu haben. Doch das Zinsniveau ist sehr niedrig. Die Inflation höher. Hinzu kommen die Kosten für die Kapitalanlagen und die Steuern auf die Erträge.
Kronaus müssen also auch dafür Annahmen treffen. Eine gute Orientierung ist das Inflationsziel der EZB. Es beträgt 2% pro Jahr. Folglich benötigen die Eheleute in ihrem ersten Ruhestandsjahr knapp 6.900 Euro pro Monat. Wenn sie 80 sind, müssen monatlich knapp 9.850 Euro auf dem Konto sein.
Dann stellt sich die Frage welche Rendite der Kapitalanlagen zugrunde gelegt werden sollte. Nicht selten wird mit 4% nach Steuern und Kosten gerechnet. Doch dies ist aus heutiger Sicht ein zu hoher Wert. Denn er berücksichtigt das hohe Zinsniveau der vergangenen Jahrzehnte. Mit Blick auf die Schuldenkrise und der sicher noch lange andauernden Notenbankpolitik sollte für eine mehr oder weniger defensive Vermögensausrichtung mit 2,7 bis 3,3% langfristiger Rendite vor Kosten und Steuern gerechnet werden. Wenn dann noch die Steuern (grob gerechnet 25% Abgeltungsteuer) berücksichtigt werden, verbleibt eine Nettorendite in Höhe 1,5 bis 2% pro Jahr. Ganz Vorsichtige rechnen mit 1% p. a. Nettorendite nach Steuern und Kosten.
Für 1.000 € Rente im ersten Ruhestandsjahr wird folgendes Vermögen benötigt*Rendite nach Steuern (%)
| Bruttorendite aus Kap.anlagen (%)
| Vermögen in Tsd. € bei Renteneintritt mit
|
60 Jahren
| 65 Jahren
| 70 Jahren
|
1 | 2,7 | 583 | 497 | 412 |
1,5 | 3,3 | 526 | 454 | 384 |
2 | 4,0 | 476 | 416 | 357 |
2,5 | 4,7 | 432 | 383 | 332 |
* Rentenseigerung zum Inflationsausgleich 2% p.a.; Kosten: 1% p.a.; Steuersatz: 25% Werte gerundet, Angabe ohne Gewähr |
Es ist vermögensstrategisch legitim und sinnvoll, das Ruhestandsvermögen nicht zu defensiv auszurichten. Denn ein großer Teil des Geldes wird erst in 15, 20 oder 25 Jahren benötigt. Das Vermögen kann daher mehr Risiko ertragen – und das wird mit einem höheren Ertrag belohnt.
Fazit: Kronaus wissen jetzt, sie haben sich verrechnet. Sie benötigen bei einer Renditeannahme von 2,5% nach Kosten und einer Inflation von 2% in sieben Jahren ca. 3,1 Mio. Euro! Nur wenn sie jedes Jahr 4,9% Ertrag nach Kosten und Steuern erzielen würden, wären sie mit ihren 1,9 Mio. Euro bis zum Lebensende sicher versorgt.