Wirtschaft in der Rekonvaleszenz
Wir gehen mit gemischten Gefühlen ins Wirtschaftsjahr 2021. Die Weltwirtschaft befindet sich in Rekonvaleszenz.
Fest steht: Europa wird mit Sicherheit noch nicht wieder den Wohlstandslevel von 2019 erreichen. Zu tief war mit mehr als 7% der Einbruch. Auf 5% wird der Zuwachs im kommenden Jahr geschätzt.
Die Welt ist schneller obenauf als Europa
Die USA kommen schneller wieder auf die Beine als Europa: Sie werden die 3,5% BIP-Rückgang aus 2020 im Laufe des kommenden Jahres aufholen.
Weltweit besteht nicht zuletzt dank China gute Aussicht, dass der Einbruch beim globalen BSP (ca. 3,5%) wett gemacht, wahrscheinlich überkompensiert wird.
Ende des Handelskrieges EU-USA
Die Zuversicht zum Jahresende in den Unternehmen ist groß. Sie feiern den Beginn der Impfungen. Feiern werden wir noch das Ende des Handelskrieges zwischen Europa und den USA. Das wird insbesondere der deutschen Industrie enorm guttun. Zwischen Washington und Peking wird es weiter Spannungen geben, aber der Ton wird moderater.
Warten auf den Startschuss
Die deutschen Unternehmen, insbesondere im Handel, stehen teilweise wie Olympioniken in den Startblöcken. Und warten auf den Startschuss. Die Politik hat die Startpistole aber erst einmal beiseite gelegt. Das steigert die Nervosität bei den Läufern.
Rückenwind werden sie haben, wenn der Startschuss fällt. Denn der Konsumhunger gilt – in allen von Corona betroffenen Ländern – nach den langen Monaten der virusbedingten Fastenzeit als groß. Zudem stehen jedem Deutschen 453 Euro mehr zur Verfügung als 2020. Insgesamt ein Volumen von 1.965,8 Mrd. Euro, so die Gesellschaft für Konsumforschung GfK.
Ausgabenprogramme verschaffen Rückenwind
Rückenwind wird auch von den gigantischen Ausgabenprogrammen der Regierungen kommen. Sie werden 2021 erst so richtig ihre Wirkung entfalten. Alle Regierungen haben kräftig anschreiben lassen: 2020 erreicht das Defizit in der Eurozone etwa 11,5% vom BIP. Erst recht die Spendierhosen an hatten Washington (16 %) und Großbritannien (18%).
Rückenwind gibt es politisch. Mit Bremsaktionen der deutschen Politik muss niemand rechnen: Wirtschaft nicht, Verbraucher nicht. Wir sind im Wahljahr. Da verbieten sich laute politische Diskussionen dazu. Steuern, Bremsen, Sparen sind Wörter, die kaum jemand in den Mund nehmen wird. Sie sind die heiße Kartoffel der Politik 2021.
Mindestens noch zwei Monate stop and go
Aber bis der Startschuss zu hören ist, kann es noch dauern. Und sicher ist: Zumindest in der ersten und zweiten Stadionrunde werden die Läufer immer wieder ausgebremst und von der Bahn geholt. Viele Analytiker gingen und gehen von einer viel zu frühem Wirkung des Corona-Impfstoffes aus. In den ersten beiden Monaten und damit im ersten Quartal läuft es somit noch mies. Solange haben wir auf jeden Fall mit Lockdown und Teil-Lockdown zu kämpfen. Danach werden die Zügel dann gelockert.
Aber von der Leine gelassen wird die Wirtschaft sicher nicht vor Beginn des zweiten Halbjahres. Vorher ist mit einer Herdenimmunität nicht zu rechnen. Später ist wahrscheinlicher. Darauf heißt es sich finanziell und marketingtechnisch einzustellen. Es sei denn Ihr Unternehmen gehört zu den Branchen, die bereits voll digitalisiert sind oder eine Arbeitserlaubnis haben.
Rabatte, Rabatte, Rabatte
Solange die Kapazitäten nicht wegen Insolvenz wegbrechen, werden die Unternehmen alles tun, um ihre Maschinen und Belegschaften wieder auszulasten. Der Verbraucher darf sich also auf Rabattschlachten freuen. Die EZB wird erneut auf die flache Inflationsrate blicken und dies als „Beweis“ dafür sehen, die Zinsen flach zu halten oder weiter abzusenken.
Europa fragt wieder mehr nach
Gut ist, dass die Nachfrage ab der 2. Jahreshälfte auch aus dem europäischen Ausland anziehen wird. Die EU wird dann beinahe flächendeckend durchgeimpft sein. China lässt zudem den Yuan aufwerten und wird weiter deutsche Maschinen einkaufen und – wo es darf – deutsche Unternehmen.
Die meisten Prognosen aus dem Herbst waren aber dennoch zu optimistisch. Eoin Murray, Head of Investment bei Federated Hermes, meinte noch Ende November: “Dies ist möglicherweise der optimistischste Ausblick, den ich je verfasst habe.“
Bremsklötze
Die „alten“ Prognosen werden im Zuge des 2. Deutschland-Lockdowns jetzt reihenweise revidiert. Die Richtung ist Süden. Ifo sieht noch 4,2%, vorher waren es 5,1% für Deutschland.
Volkswirte sind eben keine Ärzte. Sie hatten auf eine kontinuierliche Abflachung des Infektionsgeschehens gesetzt. Positiv auswirken wird sich natürlich der Basiseffekt. Das war schon im 3. Quartal zu sehen mit enormen Wachstumssprüngen vor allem zum Vorquartal. 2021 wird es auch das Vorjahresquartal sein.
- Bremsen wird der Euro. Er wird weiter steigen. Selbst 1,30 zum Dollar sind im Jahresverlauf möglich.
- Bremsen werden die Rohstoffkosten. Sie werden mit anziehender Konjunktur ohnehin deutlich steigen.
- Bremsen werden zunächst die USA. Mit Joe Biden wird eine neuer Umgang mit Corona Einzug halten. Obwohl die angelsächsischen Länder USA, Großbritannien und Kanada ebenso wie China früh mit Impfungen begonnen haben, wird es auch dort dauern, bis die Bevölkerung immun gegen Corona ist. Auch Biden wird seinen eigenen Ansagen gemäß daher zunächst um einen Lockdown nicht herumkommen. Denn die US-Infektionszahlen sind kontinuierlich hoch. Und das Infektionsgeschehen wird im Januar seinen Höhepunkt erreichen.
Der Schwarze Impf-Schwan
Der Schwarze Corona-Impf-Schwan schwimmt am Horizont. Je nachdem wie früh Nebenwirkungen auftreten, wird das die Impfbereitschaft in der Bevölkerung bremsen oder gar stoppen. Das wäre der „Impf-Gau“, der Wirtschaft und Märkte zu einer Vollbremsung bringen und zu einem schweren Einbruch führen würde. Dieses Risiko nimmt im Zeitverlauf ab, wird aber im ersten Quartal hoch sein.
Vorsichtige Charaktere werden sich dagegen absichern. Im Depot hilft Gold. Im Unternehmen Wachsamkeit und ein angepasster Investitionsplan und das Bemühen um finanzielle Widerstandskraft und jederzeitige Liquidität.
Firmen im Lockdown
Die Unternehmen werden 2020 im Ewigen Firmenkalender dunkelrot anstreichen. 69% der Industriebetriebe erwarten 2020 laut DIHK einen Umsatzrückgang. Im Einzelhandel sind es 66%, im Kfz-Handel 73% und im Verkehrsbereich 74%. Auftrags-Stornos und Mitarbeiterausfälle machen zu schaffen.
Die Folgen: Gewinneinbrüche und deutliche Investitionskürzungen. 40% der Betriebe müssen Kosten zu senken. Ein Viertel (24%) baut dazu Personal ab.
Sorgenkind Investitionen
In der Industrie kreist die Rationalisierungs-Fräse. Investitionen werden aufgeschoben oder ganz gestrichen. Die stärksten Abstriche bei ihren Investitionsplanungen machen Reisewirtschaft und Gastgewerbe. Hier werden mit Sicherheit dauerhafte Einschnitte entstehen. Dennoch: Nur 9% der Betriebe sehen sich von einer Insolvenz bedroht. Bei 4,5% reichen die Reserven noch maximal bis Februar. Rund 40% berichten von einem Rückgang ihres Eigenkapitals. 27% haben Liquiditätsprobleme.
Dennoch ist die Perspektive nicht schlecht. Gerade füllen sich die Bücher wieder mit Aufträgen aus Asien. Die Bestellungen aus dem außereuropäischen Ausland legten zuletzt im November mit einem Plus von 4,8% kräftig zu. Sie liegen damit schon wieder deutlich über dem Wert von vor einem Jahr. Während Europas Wirtschaft noch unter der Viruslast leidet, schreitet Asien schon wieder kräftig voran. Davon profitiert vor allem der Maschinenbau mit einem satten Auftragsplus von über 10%.
Investitionen gehen verstärkt in Digitalisierung
Die Autoindustrie als Herzstück der deutschen Wirtschaft hat den Wettbewerb mit Tesla voll aufgenommen. Sie macht jetzt richtig Dampf. Das zeigen die neuen Modelle von Daimler und BMW. Die neue S-Klasse mit E-Antrieb soll 700 km mit einer "Tankfüllung" Strom fahren. Der BMW i4 will Teslas Model 3 ausstechen. Aber: Der Motor von morgen ist der Computer, Daten sind der eigentliche Treibstoff. Nur wer das verstanden hat, wird den Wettbewerb gewinnen.
Positiv: Wenn investiert wird, dann vorzugsweise in digitale Anwendungen und Produkte. Online-Präsenz und Online-Kundenbindung werden ausgebaut. Aber das betrifft dennoch nur ein gutes Drittel der Firmen. Das ist noch deutlich zu wenig. Immerhin: Ein Fünftel stellt sogar ganze Geschäftsmodelle um.
Fazit: Auch in der Wirtschaft wird 2021 ein Übergangsjahr. Doch trotz aller Unsicherheiten sollten Unternehmer, die eine klare Strategie haben, das Jahr kraftvoll für Investitionen nutzen. Denn jetzt werden viele Weichen neu gestellt. In einem Jahr laufen Sie den Entwicklungen schon wieder hinterher.