Berlin ist auf dem absteigenden Ast
Das lange Zeit hippe Berlin sägt am Image-Ast auf dem es sitzt. Der Berliner Senat überschätzt die Anziehungskraft seiner Stadt. Und er tut viel dafür, dass diese Kraft immer weiter erlahmt.
Die negativen Nachrichten – gerade für das Klientel, das auch Geld in die Stadt bringt – häufen sich. Erst wird Google verprellt. Dann verabschiedet sich die Fashion Week aus der Hauptstadt. Sie wird im kommenden Jahr in Frankfurt stattfinden. Die rund um die Messe veranstalteten Modeevents „Premium“ und „Neonyt“ ziehen mit. Die Automesse mit Weltruf IAA zog von Frankfurt lieber nach München als nach Berlin.
Die Kreativen ziehen weiter
Es ist kaum zu übersehen: Die Kreativen, die den popkulturellen Weltruf der Stadt begründeten, ziehen weiter. In Städte, die noch günstige Räume bieten oder – noch wichtiger – in denen sie bei der Politik Gehör finden.
Einerseits sind auch in Berlin die Mieten in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen – und haben vor allem für junge Menschen, auch mit guter Ausbildung, den Zuzug erschwert. Andererseits werden Investoren durch die vor einem Jahr eingeführte Mietpreisbremse verprellt. Das würgt den Neubau ab und verschärft den Wohnungsmangel noch. Das riesige Tempelhofer Feld, eines der noch wenigen innenstadtnahen großflächig bebaubaren Areale, haben die Berliner zum Erholungsgebiet erklärt. Der Senat nickte ab. Gleichzeitig ist das Gejammer über mangelnden bezahlbaren Wohnraum groß.
Clubschließungen bedrohen Tourismus
Der Tourismus hat internationales Flair nach Berlin gebracht. Doch der innenstadtnahe und deshalb bei Reisenden äußerst beliebte Flughafen Tegel ist bereits geschlossen. Der BER muss seine Feuertaufe erst noch bestehen.
Ob sich der Tourismus von der Coronakrise erholen wird, ist äußerst unsicher. Im Moment sicht es nicht danach aus. Im April kam durch die Corona-Pandemie der Tourismus in Berlin fast vollständig zum Erliegen (Ankünfte: –95,6%, Übernachtungen: –94,6%). Er ist eine der wichtigsten Schlüsselbranchen in Berlin mit einem jährlichen Umsatz von 11,5 Mrd. Euro und einem Beschäftigungseffekt von 235.000 Vollzeitbeschäftigten.
Wirtschaftliche Erfolgsgeschichte
Viele der zumeist jungen Touristen kamen aus aller Welt nach Berlin, um in den zahlreichen Clubs zu feiern. Ein guter Teil der Clubs wird die als Corona-Schutzmaßnahmen verlangten Schließungen nicht überleben. Neue Clubs sind selten geworden, denn auch sie leiden unter den hohen Mieten.
Wirtschaftlich wurde in Berlin in den letzten Jahren zwar Erfolgsgeschichte geschrieben. Allerdings von einem niedrigen Niveau aus. 2004 erreichte die Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt mit knapp über 20% ihren Rekordwert. Seither ist sie stetig gesunken, auf 7,9% im März diesen Jahres. Gleichzeitig stiegen die Durchschnittseinkommen der Erwerbstätigen und die Steuereinnahmen der Stadt stark an.
Wachstumstreiber Startups
Die Startups waren wesentliche Wachstumstreiber in den letzten 15 Jahren. Neben großen Unternehmen wie Zalando, Delivery Hero oder Auto1 Group entstanden auch viele kleinere. Immerhin über 11% (3,5 Mrd. Euro) aller Startup-Finanzierungen europaweit flossen 2019 nach Berlin. Nur London konnte in Europa mehr Mittel anziehen. So ist ein Ökosystem für Gründer entstanden, wie es nur in wenigen Städten existiert.
Gründer trotz fehlender politischer Unterstützung erfolgreich
Schon seit Jahren zirkuliert unter den Gründern der Spruch, das Startup-Ökosystem sei nicht wegen der Politik erfolgreich, sondern trotz ihrer mangelnden Unterstützung. Die wesentliche Leistung des Senats war es, die Landes-Förderbank IBB 2004 zu verselbständigen. Sie hat seither einen starken Anteil an der Finanzierung von Startups.
Ungewisse Zukunft für die Gründer
Die Zukunft der Startups ist aber ungewiss. Werden sich nach der Coronakrise weiterhin Geldgeber finden? Wichtig ist dabei auch das Verhalten der großen Finanziers aus den USA. Sie haben den Erfolg größerer Startups erst möglich gemacht. Die Krise wird die Preise der US-Startups senken, so dass sie sich den Weg in die deutsche Hauptstadt sparen können.