Ukraine: Scheitert der Westen politisch?
Für den Westen geht es im nächsten Jahr in der Ukraine darum, seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Im Zentrum stehen dabei die USA. Denn die Absetzbewegungen der Amerikaner aus dem Konflikt sind schon zu Jahresende 2023 deutlich sichtbar. Die militärische Hilfe schrumpft, auf neue finanzielle Hilfen kann sich Washington nicht einigen.
Bleibt die Unterstützung der USA für die Ukraine im nächsten Jahr aus oder sehr gering, bringt das Europa in Zugzwang, die Lücke zu füllen. Das dürfte – finanziell, wie auch militärisch und politisch – schwieriger werden. Die Widerstände in der EU gegen bedingungs- und endlose Hilfe nehmen zu, die Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet.
Ukraine vor militärischem Desaster
Das könnte zu einem militärischen Desaster führen. Denn die Ukraine scheint Russland nicht mehr viel entgegensetzen zu können. Die lange propagierte Gegenoffensive ist längst Geschichte. Für das Land gehe es inzwischen nicht mehr darum, verlorene Gebiete zurückzuerobern. Vielmehr sei das Minimalziel, nicht noch weitere Gebiete zu verlieren. Aber auch das scheint zum Jahreswechsel kaum realistisch. Russische Truppen rücken gezielt in verschiedenen noch umkämpften Regionen vor. Die Ukraine hat derweil damit begonnen, in kaum noch umkämpften Gebieten in großem Stil Befestigungen an der aktuellen Frontlinie zu errichten und die Grenze zu „zementieren“.
Militärisch droht dem Land damit ein Afghanistan-, politisch ein Türkei-Szenario. Politisch setzt vor allem die EU alles auf eine Karte und öffnet der Ukraine die Perspektive von Beitrittsgesprächen. Das ist ein Spiel auf Zeit mit ungewissem Ausgang. Das Land muss noch etliche Entwicklungsschritte gehen und in Summe fast 75 einstimmige Abstimmungen überstehen. Die Türkei kann ein Lied davon singen, wie komplex ein solcher EU-Beitritt ist.
Wie verlässlich sind die USA als verteidigungspolitischer Partner?
Militärisch würde ein heimlicher Rückzug des Westens das Land in ein Afghanistan-Szenario stürzen. Nach einem opferreichen Krieg bleibt ein zerstörtes Land zurück, das weitgehend auf sich gestellt und von erheblichen finanziellen Hilfen abhängig ist. Das Kriegsziel, die territoriale Souveränität wieder herzustellen, wäre verfehlt. Putin wäre dann mit dem Krieg, als „bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ im Sinne von Clausewitz' erfolgreich gewesen. Der Westen wiederum müsste offensichtlich eingestehen, dass er gegen Russland nicht erfolgreich war.
Geradezu verheerend wäre das Signal, dass die USA verteidigungspolitisch nicht mehr als verlässlicher Partner angesehen werden können. Mit Biden im Weißen Haus ist dies nicht so offensichtlich, aber deutlich genug. Der überstürzte, nicht abgesprochene und unprofessionelle Abzug der USA aus Afghanistan – in seiner symbolhaften Wirkung nicht zu überschätzen – zeigt deutlich, dass Washington sich an keine Absprachen wirklich gebunden fühlt. Das werden die US-Partner im Westen erkennen, aber auch einige Länder im Süden, die sich ohnehin schon stärker von den USA abgrenzen und an der Bildung multipolarer Blöcke arbeiten (Stichwort BRICS+).