Merkwürdig großer Aktien-Appetit
Die Börsen starten nach einem sehr guten Lauf (DAX +16% seit Jahresanfang) in eine vermutlich trübere zweite Jahreshälfte. Denn die Rahmenbedingungen verschlechtern sich unseres Erachtens deutlich. Das wird die Börse im dritten Quartal einzupreisen beginnen.
Die Konjunktur kommt aus dem Tritt, Europa und Deutschland werden auch in den kommenden drei Monaten negative Wachstumszahlen (BIP) ausweisen. Darauf deuten neben der ifo-Umfrage (-0,4%) auch die fallenden Aufträge der Industrie (-4,3% ggü. Vj.) Und sogar das ist noch nach oben verzerrt, durch ein Plus im Mai von 137,5%, wesentlich aufgrund von Rüstungsgroßaufträgen. Die anhaltende Rutschpartie im Bau- und Immobiliensektor deuten dagegen die strukturellen Probleme an.
Inflationsdynamik könnte wieder nach oben überraschen
Während die Konjunktur in Europa und Deutschland schwächelt, kann von einer Beruhigung bei der Inflationsrate keine Rede sein. Die Inflationsrate bleibt hoch, zieht teilweise sogar wieder an. Angesichts des nahenden Winters wird die Nachfrage nach Öl und Gas wieder steigen. Daher rechnen wir damit, dass die Inflationsraten sogar noch weitere Aufwärtsimpulse bekommen werden.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat schon angekündigt, auf die Konjunkturentwicklung keine Rücksicht nehmen zu können. Die EZB wird die Leitzinsen weiter anheben. Vermutlich wird es in diesem Jahr noch zwei weitere Schritte nach oben geben. Die Konjunktur dürfte damit einen zusätzlichen Dämpfer bekommen, zumal die bereits getätigten Zinsschritte der Notenbanken nun erst zu wirken beginnen.
In der Fed wollten nicht alle eine Zinspause einlegen
Selbst in der US-Notenbank Fed war die aktuelle Zinspause heftig umstritten. Längst nicht alle Mitglieder waren mit ihr einverstanden. Einige wollten die Zinsen ohne Pause weiter hochziehen. Das zeigt das aktuelle Fed-Protokoll. In Kombination mit der schon wieder dominierenden Gier-Stimmung (Greed-&-Feed-Index 80/100) ist das eine Kombination, die eher für fallende Kurse spricht.
Wir fragen uns ohnehin, worauf die Börse spekuliert. Seit Jahresanfang sind die Börsen um 16% gestiegen (z.B. DAX). Und das in einem sich konjunkturell eintrübenden Umfeld, parallel zu einem Zinsanstieg in historisch seltenem Tempo. Dass die aktuellen Konjunkturzahlen aus China nicht sonderlich gut sind, passt ebenfalls ins Bild – nur nicht zur Börse.
Trügerische Leitzins-Hoffnungen
Darüber hinaus befürchten wir, dass die Anleger einem Zinssenkungs-Trugschluss aufsitzen. Denn die allgemeine Erwartung ist, dass die Notenbanken die Leitzinsen zügig zurücknehmen, wenn sich die Konjunktur kräftiger abkühlt. Das halten wir für zu kurz gedacht.
Die Notenbanken müssen erst abwarten, ob die wirtschaftliche Verlangsamung auch nachhaltig auf die Inflationsraten zurückwirkt und sie wieder drückt. Das kann erstens dauern und muss zweitens auch nicht so sein. Denn gerade im zweiten Halbjahr sind steigende Rohstoffpreise (Stichwort Heizperiode) wieder möglich. Die würden einen möglichen Rückgang der Inflationsrate wieder kompensieren.
Notenbanken im Dilemma
Wir halten es daher für gut möglich, dass sich die Wirtschaft spürbar verlangsamt, die Inflation aber dennoch hoch bleibt. Das wäre ein sehr unbequemes Szenario für die „Geldhüter“, wenn sie dann die Leitzinsen ebenfalls hochhalten.
Vor diesem Hintergrund sehen wir keine Notwendigkeit, derzeit in großem Stil in die Börsen zu investieren. Anleger sollten abwarten, ob die Indizes die engen Seitwärtsranges der vergangenen Wochen halten. Wir haben daran eher Zweifel und rechnen im dritten Quartal mit Kursrückgängen. Der DAX kann in Richtung 14.000 Punkte fallen. Das wären dann auch wieder Kaufkurse.