Zerstörung des chinesischen Ballons ist ein Warnschuss für Deutschlands Industrie
Eine Mischung aus außen- und innenpolitischen Faktoren
Dabei spielt die innenpolitische Situation in beiden Ländern jeweils eine wichtige Rolle. Die USA radikalisieren sich im Streit der Lager. 2024 stehen bereits die nächsten Präsidentschaftswahlen an. Der Demokrat Joe Biden will außenpolitisch Stärke zeigen. Dass ein Wechsel in Washington für eine Beruhigung der Lage sorgen wird, ist nicht zu erwarten. Xi Jinping steht nach der 180-Grad-Wende in der Coronapolitik unter Druck. Darauf deutet auch die empfindliche Reaktion Pekings auf den jüngsten Artikel IV-bericht des IWF, der China zwar ein konjunkturelles Comeback bescheinigt, aber nicht in dem von Peking gewünschten Ausmaß.
Kommt es zum heißen Konflikt um Taiwan, sind Sanktionen gegen China noch das kleinste Übel, auf das sich Berlin – und damit Deutschlands Industrie und Handel – werden einlassen müssen. (Nicht nur) auf militärischem Gebiet sind wir von den USA so abhängig wie bis vor Kurzem von russischer Energie. Und hier bietet sich kurz- und mittelfristig – anders als bei Öl und Gas – auch keine Alternative an.
Gewaltiger Druck auf vielen Gebieten
China ist nach Umsatz Deutschlands wichtigster Außenhandelspartner und Technik-Lieferant. Und es besteht bislang wenig Aussicht, dass sich das in absehbarer Zeit ändert, ja wirklich ändern soll. Taiwan ist das Chip-Zentrum der Welt. Für ein Land wie Deutschland, das insbesondere im Bereich der Digitalisierung noch Schwellenland ist, wäre ein Wegbrechen der Lieferketten aus der Region ein weiterer herber Schlag ins Kontor.
Der Druck ist also auf vielen Gebieten gewaltig, in kürzester Frist für Ausweichmöglichkeiten zu sorgen. Die Bundesregierung setzt wie Brüssel dabei auf eine fragwürdige Industriepolitik, die mehr einem Hüftschuss gleicht als einer überlegten langfristigen Vorstellung, wie das zu Europas politischem Konzept des Multilateralismus passen soll. Als Beobachter sieht man erschüttert, wie unvorbereitet die Europäer auf diese Situation waren und sind.
Die USA profitieren von der Situation
Profiteur der Situation sind – zumindest kurz- und mittelfristig – die USA. Sie sind ein schwieriger Freund (geworden). Was die Chinesen mit Formosa/Taiwan beabsichtigen, wollen die USA im Bereich der Industrie: Sie wollen sie für sich vereinnahmen. Die Amerikaner wissen um die Abhängigkeiten Europas und insbesondere Deutschlands und nutzen diese auch mit einer gewissen Schamlosigkeit aus. Die Bundeswehr räumt gerade ihre letzten Lagerbestände und wird ihre Läger in den USA „für teuer Geld“ auffüllen müssen. Denn die hiesigen Hersteller können gar nicht schnell genug ausreichend liefern.
In Europa herrscht heißer Krieg, der enorme finanzielle Ressourcen verschlingt und die Europäer (handels-)politisch auf lange Zeit vieler Chancen beraubt. Energiepolitisch haben wir uns nolens volens verstärkt an die USA und ihr Fracking-Gas gebunden, das wir hier nicht fördern wollen.
Europa hat subventionspolitisch vorgelegt
Europa hat 2019 mit dem Billionen schweren Subventionspaket Green New Deal vorgelegt, das auch jede Menge Unsinn wie eine eigene Batterieproduktion fördert. Wir sollten also nicht so tun, als müsse man subventionspolitisch noch nachlegen. Aber der Inflation Reduction Act mit seiner America first und Buy American-Philosophie offenbart ein Maß an „Selfishness“, das Europa wohl noch lernen muss. Den Euro als möglichen Konkurrenten auf den Devisenmärkten, haben die Amerikaner längst in die Schwanken gewiesen.
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Deutschlands Industrie wird von Washington förmlich in die Arme der USA getrieben. Ein Sanktionskrieg gegen China als unterste Stufe einer direkten Auseinandersetzung der Großmächte vor Augen, muss jedes verantwortungsvolle Konzernmanagement zum Handeln veranlassen. Selbst wenn es nie dazu kommt, ist das Risiko schwer kalkulierbar.
Die USA locken mit deutlich günstigeren Energiepreisen, einer vielerorts besseren technischen Infrastruktur und einer generellen Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen; von Deutschlands Unternehmenssteuern und der anhaltend industriefeindlichen Stimmung in der Bevölkerung mal ganz abgesehen. Mit dem Pfund gut ausgebildeter Arbeitskräfte wird gerade Deutschland immer weniger argumentieren können, je mehr wir unsere Standards in Bildung und Ausbildung nach unten schrauben – was gerade angesichts von Massenzuwanderung und akutem Lehrermangel in atemberaubender Geschwindigkeit geschieht.
Unternehmerisches Risikomanagement gefordert
Auch, wenn die Amerikaner derzeit alles andere praktizieren als die Prinzipien einer Marktwirtschaft, können Unternehmen davon ausgehen, dass dort das Ruder schneller und konsequenter wieder herumgerissen wird als in Europa, das mit Frankreich eine ohnehin in Planifikation und Industriepolitik verliebte Macht in seiner Mitte und mit Brüssel einen nach französischen Vorbild errichteten und tickenden Apparat an seiner Seite hat.