London hat aus vier Jahren Trump nichts gelernt
Ab 2021 feiert der Merkantilismus in Europa Wiederauferstehung. Am 1.1. verlieren die Handelsabkommen Großbritanniens mit der EU ihre Gültigkeit. Dann schlägt die Stunde eines neuen britischen Protektionismus.
Manches mit, manches ohne Zoll
Mit den Zöllen will London vor allem die verarbeitende Industrie schützen. Zölle auf Konsumgüter wie Porzellan (12% des eingeführten Warenwertes), Reinigungsartikel (12%) und Plastik (6%) werden ab Januar den Handel erschweren. Auch über das britische Verkehrswesen hält London schützend die Hand. Es werden Zölle auf Busse (16%), Fahrräder (14%) und Automobile (10%) erhoben. Zahlreiche andere Sektoren der verarbeitenden Industrie schließen sich an.
In kaum einem Sektor steigen die Zölle so sehr wie im Agrarsektor. Auch wenn der Anteil an der Gesamtwirtschaftsleistung UK's nur 0,6% beträgt. Die britischen Bauern waren Nutznießer der EU-Subventionen. Mit dem Wegfall der Unterstützung ist ihre Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. London reagiert und erhebt Zölle auf z.B. Tabak (70%), Orangensaft (30%), Honig (16%) und Weizensamen zur Aussaat (79 GBP per 1.000 kg).
Merkantilismus im 21. Jahrhundert
Andere Produkte dürfen hingegen zollfrei eingeführt werden. Dazu zählen pharmazeutische Artikel, Rohstoffe wie Kohle, Erdgas und Wasserstoff oder auch Papiererzeugnisse. Letztendlich kommen hier merkantilistische Prinzipien zum Tragen. Rohstoffe und andere knappe Güter dürfen eingefahren werden, produziert werden soll vor allem im eigenen Land. Der Binnenkonsum soll sich auf einheimische Waren beschränken.
Zombies auf dem Vormarsch
Und das hat auch einen guten Grund: Großbritannien hat ein Zombie-Problem. Die Bank of America schätzt 20% aller UK-Firmen als "Zombies" ein. Sie können ihren Kapitaldienst nicht aus eigener Kraft erbringen. Damit ist das Vereinigte Königreich aktuell für ein Drittel aller Zombies in Europa verantwortlich, darunter u.a. Aston Martin und British Airways. Etwa 50% der britischen Industrie-Unternehmen sind Zombies. Besonders betroffen sind die Sektoren Bau, (Ab)Wasserwirtschaft, Sanierung, Automobil und Müll. London wird versuchen, diese Unternehmen wieder in die Gewinn-Spur zu bringen. Das geht nur über den erschwerten Zugang für ausländische Unternehmen am britischen Markt.
Doch der Schutz der einheimischen Wirtschaft wird so nicht nachhaltig funktionieren. Das Leistungsbilanzdefizit der Briten liegt bei 100 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020. Zum Vergleich: Die USA weisen ein Defizit von 596 Mrd. US-Dollar auf. Deutschland dagegen einen Überschuss 261 Mrd. US-Dollar.
Staatlicher Interventionismus notwendig
Mit den Zöllen will die Johnson-Administration eine ausgeglichene Bilanz erreichen. Ähnlich wie in den USA (vgl. FB 2.11.2020), dürfte aber auch das eine Quadratur des Kreises werden. Gemäß ökonomischer Theorie ist es beinahe ausgeschlossen, dass das Land mit der drittwichtigsten Reservewährung der Welt und einem Leitzins bei 0,1% eine ausgeglichene Leistungsbilanz erwirtschaften kann.
Denn aus den fiskalpolitischen Maßnahmen folgt, dass immer mehr Güter produziert werden und so durch den Ressourcenverbrauch die Importe die Exporte übersteigen. Der Schutz der einheimischen Wirtschaft durch Zölle wird von London – so wie es Washington auch in Amerika tut – nur durch konjunkturstützende Maßnahmen (Steuersenkungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Staatsausgaben) zu erreichen sein. Die aber sind immer nur eine begrenzte Zeitlang wirkungsvoll.
Fazit: London steuert schnurstracks auf das viel beschworene böse Brexit-Erwachen zu. Leiden werden britische Unternehmen, deren Zulieferer im Ausland und vor allem die Briten selbst.
Hinweis: Auf der Internetseite der britischen Regierung gibt es eine Übersicht mit Suchfunktion über alle 11.830 Waren, auf die Zölle erhoben wurden. https://www.check-future-uk-trade-tariffs.service.gov.uk/tariff